Herr Brothuhn, die Europäische Zentralbank wird erstmals nach elf Jahren die Zinsen wieder anheben. Was sagen Sie zu dieser Entscheidung?
Ulf Brothuhn: Die EZB steckt schon seit einigen Monaten in einem Dilemma. Grundsätzlich ist es richtig, dass die Zinsen angehoben werden, aus unserer Sicht passiert das aber eindeutig zu spät. Als klar war, dass die Inflation kein temporäres Problem ist, hätte die EZB spätestens handeln müssen. Jetzt die Zinsen zu erhöhen, in einer Situation, die durch geopolitische Verwerfungen geprägt ist mit steigenden Rohstoffpreisen, unterbrochenen Lieferketten, vielen Unwägbarkeiten und deutlichen Bremsspuren für die Wirtschaft – das ist ein toxischer Cocktail.
Hat die Zentralbank die Inflation anfangs unterschätzt?
Es sind für den Moment immer nur Prognosen möglich. Und keiner kann dafür mit einer Glaskugel in die Zukunft schauen. Ich werfe aber der EZB und auch der Politik vor, dass man Risiken schlicht und ergreifend ausgeblendet hat. Es sind falsche Schlussfolgerungen aus der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Lage gezogen worden. Unabhängig davon, dass kaum einer damit gerechnet hat, was Putin jetzt in der Ukraine anrichtet: Man konnte erkennen, dass sich die Statik der Weltordnung zu alten Blöcken verändert.
Welche Schlussfolgerungen müssten Entscheider denn aus dieser Zeit ableiten?
Mein Wunsch an die Politik wäre, dass es keine Denkblockaden gibt. Wir werden doch jetzt ganz klar mit der Frage konfrontiert: Wollen wir wirklich als freiheitliche demokratische Welt von Diktaturen abhängig sein? In Russland sieht man, dass der Wandel durch Handel gescheitert ist. Meine Prognose ist: Das wird auch in China scheitern. Der Schritt nach Taiwan ist nicht eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann.
Was fordern Sie für Konsequenzen für die Wirtschaft?
Unsere Automobilindustrie ist komplett abhängig von China. Ola Källenius (Vorstandschef von Mercedes) war gerade als Gast beim Bremer Unternehmerforum. Ich war wirklich fassungslos, als er auf die Frage zu China im Prinzip nur antwortete, China sei der größte Absatzmarkt der Welt. Es scheint völlig außerhalb seiner Gedankenwelt zu sein, die Geschäfte dort infrage zu stellen. Unsere Automobilkonzerne täten gut daran, China auch als das zu betrachten, was es ist: eine der größten Diktaturen. Unternehmenslenker großer Konzerne sollten sich Abhängigkeiten bewusst machen und sukzessive reduzieren.
Wie leben Sie das im eigenen Haus? Mischen Sie sich als Bank jetzt verstärkt bei den Unternehmen ein?
Der Begriff Einmischen ist richtig und falsch. Wir versuchen uns schon als Impulsgeber zu positionieren. Insbesondere da, wo wir Abhängigkeiten erkennen, wollen wir mit den Kunden in den Dialog gehen. Unsere Unternehmen gehören dabei eher der mittelständischen Wirtschaft an. Es gibt also einen Exportanteil, aber die Abhängigkeiten bei uns im Portfolio sind nicht signifikant. Die Entwicklung treibt uns natürlich insgesamt um. Wenn die Importe aus China plötzlich zusammenbrechen, hat das Auswirkungen auf uns alle.
Kommen wir zurück auf die Zinsen. Was bedeutet der Schritt der EZB für Verbraucher?
Eine Seite tut richtig weh. Das sind die Kreditzinsen. Wer vor einem halben Jahr eine Baufinanzierung ausgemacht hat, der konnte noch Glück haben und auf zehn Jahre Zinsbindung ein Prozent bekommen. Seither haben sich die Kreditzinsen verdreifacht, und das geht einher mit gestiegenen Baukosten und verzögerten Bauzeiten. Der Immobilienkauf wird also teurer. Es können sich immer weniger Wohneigentum leisten.
Scheitern Projekte daran bereits?
Wir mussten bisher noch keine Projekte von Bauträgern absagen. Es gibt keinen Zuwachs bei den Kreditablehnungen. Wir haben aber eine Maklertochter. Und da berichten uns die Kollegen, dass sie teilweise Grundstücke und Häuser reserviert haben für Kunden, die dann keine Finanzierung bekommen haben. Das ist im Markt ein Trend.
Wie können Kunden darauf reagieren? Sollten Sie den Traum vom Eigenheim aufschieben?
Eine langfristige Preisprognose für den Markt zu geben, ist sehr schwierig. Ich glaube, dass wir im Augenblick eine Stagnation haben – insbesondere bei den guten Lagen. Wir werden in den Großstädten wie auch Bremen keinen deutlichen Preiseinbruch sehen. Es hängt ansonsten sehr von der eigenen Kalkulation und Situation ab. Möchte ich darauf warten, dass die Zinsen wieder sinken? Diese Überlegung halte ich für gefährlich, weil ich daran nicht glaube. Die Tilgung wegen der Zinsen zu senken, ist aber auch schwierig, weil man dann im Alter noch eine zu hohe Schuldenlast hat. Über Jahrzehnte war der Zinssatz von drei Prozent ja normal...
...da waren aber auch die Immobilienpreise sehr anders.
Ja. Und auch was man für Nebenkosten zahlte, Strom, Gas und Wasser, war niedriger. Der Staat wird überlegen müssen, ob er das Wohneigentum nicht wieder subventionieren will über Instrumente wie die Wohnungsbauprämie, das Baukindergeld oder steuerliche Erleichterungen. Ich halte es grundsätzlich für richtig, dass sich mehr Menschen ein Eigenheim leisten können.
Die Negativzinsen bleiben vorerst, aber gehen allmählich zurück. Wie gehen Sie selbst jetzt vor?
Wir haben die Negativzinsen 2020 in einem sehr transparenten Prozess eingeführt. Genauso gestalten wir jetzt den Ausstieg und werden die Negativzinsen sukzessive abschaffen. Wir werden die Schritte der EZB eins zu eins weitergeben, sodass im September das Thema erledigt sein dürfte. Ganz vorsichtig formuliert – man weiß ja nie, was die EZB macht. Was mir aber wichtig ist: Selbst ohne Negativzinsen vernichten wir wegen der Inflation Geld, wenn wir zu hohe Beträge auf dem Konto liegen haben. Ich werbe wirklich dafür, aktiv Vermögensstrukturierung zu betreiben.
Das Gespräch führte Lisa Schröder.