Susanne Keuneke ist verwundert, dass sie von der Behörde angeschrieben wurde wegen der Ausbildungsabgabe. In dem Brief wird sie aufgefordert, bis zum 28. Februar im Elster-Portal im Internet ihre Angaben zu machen, damit die Behörde weiß, ob die Vorsitzende vom Verband der Schausteller und Marktkaufleute abgabenpflichtig ist wegen des geplanten Ausbildungsfonds. Keuneke sagt: "Schausteller ist kein Ausbildungsberuf und trotzdem kann es sein, dass Schausteller in den Fonds einzahlen müssen." Kopfschütteln auch bei den Verbandsmitgliedern. "Einige haben mir berichtet, dass die Schreiben an längst Verstorbene gerichtet waren", sagt die Vorsitzende. Sie selbst soll auch für den Verband ihre Angaben machen. Da ist ihr jetzt schon klar: "Wir werden wohl keine Abgabe zahlen müssen, trotzdem muss ich die Daten auf dem Elster-Portal eintragen."
Ebenso erhielt der Geschäftsführer der Freien Waldorfschule Bremen die Aufforderung vom Arbeitsressort, im Portal die Angaben zu machen. Als Martin Karsten den Brief aufmachte, bekam er einen Schreck und fragte sich zuerst: "Was habe ich falsch gemacht?" Im nächsten Schritt machte er eine Rundfrage in seiner Whatsapp-Gruppe der freien Schulen Bremens: "Das Ökumenische Gymnasium hat den Brief auch erhalten." Mit guter Bildung kenne man sich aus, beim Thema Ausbildung sei jedoch jemand anders gefragt. Doch telefonisch ist die zuständige Stelle beim Arbeitsressort nicht erreichbar – nur per E-Mail. Also schickte er eine Mail und kurze Zeit später erhielt er Antwort, dass er die Datenangaben nicht machen müsse. Die Handelskammer berichtet von einer älteren Dame, die eine Haushaltshilfe beschäftigt. Auch sie wurde per Schreiben aufgefordert, Angaben zur Ausbildungsabgabe machen.
Zu Angaben auch ohne Schreiben verpflichtet
Alle Betriebe im Land Bremen müssen ihren Angaben machen und dabei im Internetportal eintragen, wieviel bei ihnen 0,27 Prozent ihrer Arbeitnehmerbruttolohnsumme sind. Das wäre der Betrag, den sie in den Fonds einzahlen müssen. Für jeden Azubi erhalten sie pro Jahr 2250 Euro. Wenn sie unter die Bagatellgrenze von 135.000 Euro fallen, sind sie von der Abgabe befreit. Dazu hat die Behörde nach eigenen Angaben 22.000 Infoschreiben rausgeschickt. Grundlage der Informationsschreiben waren laut Behörde Adressdaten aus dem Gewerberegister und eigene Internetrecherchen.. Ressortsprecherin Nina Willborn sagt: "Bei Betrieben, bei denen sich direkt aus den Unternehmensnamen Ausschlüsse vom Geltungsbereich des Gesetzes erkennen ließen, wurde auf Anschreiben verzichtet."
Doch die Bremer Handelskammer hat allein 59.000 Mitglieder, bei der Bremer Handwerkskammer sind es 5500 Mitglieder. Sie haben aus Datenschutzgründen keine Adressen an die Behörde gegeben. Angesichts der Fehladressaten ist rechnerisch davon auszugehen, dass jeder zweite Betrieb in Bremen und Bremerhaven das Infoschreiben nicht erhalten hat. Karlheinz Heidemeyer, Geschäftsführer bei der Bremer Handelskammer sagt: "Allein da haben wir juristische Bedenken. Denn wo ist da das Gleichheitsprinzip?" Die Frage vom WESER-KURIER, wie viele Betriebe im Land Bremen denn wohl das Schreiben nicht erhalten haben, ließ das Arbeitsressort unbeantwortet. Es ist außerdem als Infoschreiben deklariert und nicht als Amtsschreiben. Das bedeutet: Betriebe sind dazu verpflichtet, ihre Angaben zu machen, auch wenn sie den Brief nicht erhalten haben. Wenn sie dies bis Ende Februar nicht gemacht haben, kann ihnen eine Strafe von bis zu 500.000 Euro drohen.
Einspannen des Steuerberaters nicht vorgesehen
Viele Betriebe hätten diese Aufgabe gern an ihren Steuerberater weitergegeben. Doch die Behörde verlangt die Angaben von den Firmenchefs selbst. Dafür müssen sie sich erstmal einen entsprechenden Elster-Code besorgen. Steuerberater Paul Thomas Koßmann hat unter seinen Klienten viele kleine Handwerksbetriebe. Denen konnte er nur beratend zur Seite stehen. Er bekam auch mit, dass bei einigen während der Dateneingabe das Portal abgestürzt sei. Und das mal so eben machen, ginge auch nicht. Koßmann steht dem Ausbildungsfonds kritisch gegenüber, sagt aber gleichzeitig: "Ich habe so einige Klienten, also kleine Handwerksbetriebe, die aus dem Fonds mehr rausbekommen, als sie einzahlen."
So geht es auch Jan-Christian Hashagen. Der Geschäftsführer des Bremer Schilderherstellers Marahrens würde ebenso mehr Geld aus dem Ausbildungsfonds erhalten als er einzahlen würde. Dennoch lehnt er die Abgabe ab: "Durch den Fonds bekommen die Betriebe keinen einzigen Azubi zusätzlich. Wir werden gegen unseren Bescheid klagen. Hier entsteht wieder ein Bürokratiemonster. Und von jedem Euro den man einzahlt, werden infolge der Kosten für Verwaltung und Organisation doch bestimmt nur 50 Cent ausgezahlt." Auch sei für ihn der 28. Februar als Datum völlig willkürlich, weil es ja nur die Zahl der Azubis zu dem Zeitpunkt festhalte.
In der Gastronomie sagt Emilia Seekamp von Seekamps Gasthaus in Hemelingen: "Als ob wir bei uns nichts anderes zu tun hätten. Bis Ende Februar sollen wir die Angaben machen – mitten in der Kohlfahrtensaison. Die Bürokratie ist eh schon am Überborden." Aufgrund des nahenden Termins bitten die Handelskammer und die Hanseatische Steuerberaterkammer um Fristverlängerung bis zum 30. Juni. Vom Ressort heißt es, dass man in diesem Jahr mit Augenmaß unterwegs sei, wenn die Daten erst nach dem 28. Februar kommen.