Am Tag vor dem Stillstand wirkt der Ziegenmarkt so, als hätte sich das Steintor vorgenommen, noch ein Mal so zu tun, als wäre alles wie immer. Junge Menschen hasten über den Platz und geben sich Mühe, lässig auszusehen, was mit mehreren Einkaufstüten unterm Arm nicht ganz leicht ist. Sie kommen vorbei am Imbisswagen, in dem wie immer Hähnchen am Spieß drehen, am Blumenstand daneben, der weiter Tulpen verkauft, an Menschen, die vor der Georg-Büchner-Buchhandlung in der Mittagssonne sitzen, lachen, prosten. Steintor-Standard. Doch drinnen, im Buchladen von Beruta Adolf, da ist nichts mehr wie sonst.
Dieser Dienstag wird der letzte Tag sein, an dem Adolf ihre Buchhandlung am Ziegenmarkt öffnen darf. Vielleicht für Wochen, vielleicht für Monate, wer weiß das schon. Wie Adolf geht es allen Einzelhändlern in Bremen und Niedersachsen, die keine in der Coronakrise unbedingt notwendigen Dinge verkaufen. Doch müssten Bücher nicht eigentlich dazugehören?
„Inzwischen hamstern die Bremer auch Bücher“, sagt Adolf, „es kommen Kunden, die auf Vorrat kaufen.“ Zur Mittagszeit ist es voll in dem kleinen Geschäft, das genau die Heimeligkeit ausstrahlt, für die Menschen noch immer in solche Läden gehen. Deckenhohe Regale, Tische voll mit Büchern, ein Sitzbereich mit Kaffee, eine Spielecke für Kinder. Dort bittet Inhaberin Adolf, 58, auf ein Sofa. Während ihre Füße über einem Spielteppich baumeln, erzählt sie von Eltern, die nun haufenweise Bücher aus ihrem Laden schleppten.
Irgendwie müssten sie den Nachwuchs ja beschäftigen. Gar nicht so einfach, wenn selbst die Spielplätze geschlossen bleiben. Also Bücher. Frage an die Händlerin: Helfen ihr die Hamsterkäufe? Ab Mittwoch nicht mehr, sagt sie. „Mich treibt die Sorge um, dass diese Krise ganz schnell existenziell wird.“ Adolf führt ihren Laden seit mehr als 20 Jahren, erstmals hat sie ihre Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt. „Ich hoffe auf Hilfe“, sagt sie, „aber ich mache mir keine Illusionen.“ Adolf ahnt: Wenn sie die nächste Zeit überstehen will, muss sie sich etwas einfallen lassen.
Eine Buchhandlung kämpft – um Kunden und ums Überleben
Adolf sagt, sie habe keine Ahnung, wie ihr Leben ohne den Buchhandel aussehen würde. Sie will das verhindern, irgendwie weitermachen, weil das ja immer helfe, um mit den Dingen fertig zu werden. Adolf wird die Fensterscheibe ihres Ladens mit einem übergroßen Hinweis auf ihren Onlineshop bekleben. Wenn die Bremer über den Ziegenmarkt gehen, sollen sie sehen, dass da ein Buchhandel kämpft. Um die Kunden und ums Überleben. Adolf will ihr Online-Geschäft ausbauen. Wenn die Kunden nicht mehr zu ihr kommen dürften, käme sie nun zu den Kunden. Ein Bestell- und Lieferservice für Bücher, das ist ihr Plan gegen die Pause. Wird der reichen? „Meine Kosten laufen weiter“, sagt Adolf, „ich werde zurückgeworfen auf ein Minimum, das kaum genug sein wird.“
So wie Adolf geht es nun vielen Ladenbesitzern. „Die Entscheidung der Politik ist verständlich, aber sie kommt für viele sehr plötzlich“, sagt Jan König, Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Nordwest, „das ist ein echter Paukenschlag, ein Schock.“ Die Einzelhändler in Bremen und Niedersachsen hätten zuletzt schon einen Umsatzrückgang von mehr als 50 Prozent hinnehmen müssen. Kredite und Kurzarbeit würden nicht allen helfen, zum Teil gingen die Maßnahmen am Bedarf vorbei, sagt König: „Wir werden mit deutlich weniger Geschäften aus der Krise rauskommen.“ König rät den Händlern dazu, nun über das Internet mit den Kunden in Kontakt zu bleiben. Nur was, wenn man seinen Online-Handel gerade erst abgewickelt hat, weil der Umsatz im Laden bisher besser war?
Bei Stefan Schrader, 37, ist das so. „Das bereue ich jetzt“, sagt er, „die Entscheidung, den Onlineshop dichtzumachen, fliegt mir nun um die Ohren.“ Im Ostertor führt Schrader ein Geschäft, das „Glückstreter“ heißt und einer der Gründe dafür ist, warum Menschen lieber durch das Viertel schlendern als durch einen dieser überall gleichen und deshalb auch immer etwas tristen Einkaufstempel. Schrader verkauft Turnschuhe, viel mehr gibt es bei ihm nicht. Eine Nische, die funktioniert, weil sich Läden wie seiner herumsprechen. Ab Mittwoch hilft ihm das nicht mehr, Schrader muss erst mal schließen. Man überlebt eben auch ohne ein viertes Paar neue Schuhe in Zeiten von Corona. Aber überlebt Schrader das, so ganz ohne Online-Geschäft? „Ich habe Angst, den Laden zu verlieren“, sagt er. Er könne sich vorstellen, seine Schuhe als Fahrradkurier auszuliefern. Aber will das überhaupt irgendwer? „Ich hoffe, dass die Leute nun nicht das Internet leer kaufen“, sagt Schrader, „ich setze auf die Geduld der Kunden.“
Zurück am Ziegenmarkt dringt ein Brummen in den Laden von Beruta Adolf. Ein Lastwagen fährt vor dem Supermarkt nebenan vor, Nachschub gegen Hamsterkäufe. Ob die Coronakrise auch ihre Kunden verändern wird? Adolf überlegt. „So ein Schock kann auch heilsam sein“, sagt sie, „mal schauen, wie unsere Spaßgesellschaft es verkraftet, wenn wir nicht mehr die Möglichkeit haben, ausgedachten Bedürfnissen hinterherzujagen.“