Herr Oberheitmann, wird das i³-Life-Sciences-Cluster Nordwest den Erwartungen gerecht?
Boris Oberheitmann: Das Bündeln der Aktivitäten im Land Bremen ist außerordentlich sinnvoll. Ein Schwerpunkt liegt darauf, Forschungsgelder zu akquirieren, aber das ist nicht alles. Das Cluster ist auch dazu da, den Interessen der Branche mehr Gewicht zu verleihen.
Das Cluster gibt der Branche eine Stimme. Ist sie laut genug?
Noch ist sie das nicht. Die Life-Science-Branche hat es schwer in Bremen. Neben anderen Clustern – wie Automotiv, Luft- und Raumfahrt, Windenergie oder maritime Wirtschaft und Logistik – gehen wir unter. In der Cluster-Strategie des Landes ist für uns kaum Platz. Bremen wird nicht als Standort von Life-Science-Unternehmen wahrgenommen. Wir haben eine Art Aschenputtel-Status.
Könnte das nicht schlicht in der Größe der Branche begründet liegen?
Der Branche gehören in Bremen rund 20 Firmen mit etwa 1500 hoch qualifizierten Arbeitsplätzen an, darunter die beiden Massenspektrometer-Hersteller Thermo Fisher Scientific und Bruker. Thermo Fisher macht alleine etwa eine halbe Milliarde Euro Umsatz im Jahr, die Bruker Daltonik GmbH ist ähnlich groß. Darüber hinaus gibt es eine Reihe mittlerer und kleiner Unternehmen, die zum Teil für ihre Produktentwicklung im Bereich der Spitzenforschung tätig sind. Das mag wenig sein im Vergleich mit dem Mercedes-Benz-Werk, aber das ist nicht nichts.
Womöglich liegt weniger Augenmerk auf der Life-Science-Branche, weil sie im Vergleich zu denen zuvor von Ihnen genannten Wirtschaftszweigen noch recht jung ist.
So jung ist sie auch nicht. Unsere Firma beispielsweise existiert seit fast 15 Jahren. Ich glaube eher, dass es unsere Branche schwerer hat, weil unsere Leistungen wenig greifbar sind. Unter Life Science kann man sich auf Anhieb nicht viel vorstellen. Verkannt wird beispielsweise, dass wir nicht etwa nur forschen, sondern dass wir Produkte herstellen und weltweit verkaufen.
Dabei steht der Wirtschaftszweig offenbar sehr gut da. Die Zahlen sind positiv. Das Wachstum ist nach Angaben des Branchenverbands der Biotechnologie-Industrie bislang ungebrochen.
Die Branche hat Zukunft. Einer der sogenannten Megatrends der Zukunft dreht sich um Gesundheit, vor allem um den Erhalt von Gesundheit in einer alternden Gesellschaft. Entsprechend wird die Analytik, die Diagnostik, die Entwicklung von Therapiemethoden und Medikamenten immer wichtiger.
Heißt das Ihrer Einschätzung nach, dass in diesem Bereich, unter Umständen auch in Bremen, mehr Arbeitsplätze entstehen können, während andere Branchen einer ungewissen Zukunft entgegensehen?
In Bremen richtet sich die Wirtschaftsförderung weitgehend nach dem Grundsatz, die Stärken des Landes zu stärken. Das kann nach sich ziehen, dass man in seiner Entwicklung stockt, weil man immer auf die gleichen Pferde setzt. Ein Vorteil der Life-Science-Branche ist, dass sie nicht monolithisch ist, sondern ungemein vielfältig. Es gibt unendlich viele verschiedene Anwendungsfelder mit sehr unterschiedlichen Märkten. Bei eventuellen Marktverwerfungen bricht entsprechend nicht gleich ein gesamtes Cluster zusammen. Und die Vielfalt ist noch lange nicht am Ende: Allein in der DNA-Sequenzierung steckt so viel Potenzial, das kann man sich heute noch gar nicht vorstellen. Die Schließung des Instituts für Humangenetik an der Uni Bremen halte ich vor diesem Hintergrund für einen Riesenfehler, aus ihm sind diverse Start-ups hervorgegangen.
Als Sie Ihr Unternehmen Q-Bioanalytic gegründet und aufgebaut haben, fühlten Sie sich dabei vom Land Bremen ausreichend unterstützt?
Wir sind gefördert worden, unter anderem dadurch, dass wir uns im Biotechnologiezentrum in Bremerhaven niederlassen konnten. Da können wir uns nicht beschweren. Aber im Bereich des Risikokapitals sieht es in Bremen nicht so vorteilhaft aus. Da könnte man sicher mehr tun, zumal der Mut zur Unternehmensgründung in Deutschland unterentwickelt ist. Das liegt auch an der hervorragenden Situation auf dem Arbeitsmarkt, weil man das Risiko, sich selbstständig zu machen, problemlos vermeiden kann. Deshalb muss eine gewisse Gründungskultur erzeugt werden durch staatliche Unterstützung. Das ist umso wichtiger, als wir in Zukunft, allein schon wegen der fortschreitenden Digitalisierung, deutlich mehr Stellen in Branchen brauchen, die auf großes Know-how setzen.