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Zustrom vom Westbalkan nach Bremen Flüchtlingsheime wieder komplett belegt

Über mehrere Jahre war die Situation in den Bremer Flüchtlingswohnheimen entspannt, es gab genügend Platz für Neuankömmlinge. Das hat sich in den vergangenen Monaten geändert.
06.10.2021, 19:45 Uhr
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Flüchtlingsheime wieder komplett belegt
Von Jürgen Theiner

Die Unterbringung von Asylsuchenden wird in Bremen wieder zum Problem. Nach mehreren Jahren mit vergleichsweise geringen Zugangszahlen weist die Kurve seit dem Sommer steil nach oben. Innerhalb weniger Monate hat sich die Zahl der Personen, für die eine provisorische Bleibe gefunden werden muss, ungefähr vervierfacht – im August waren es fast 800. Aktuell mobilisiert die Sozialbehörde ihre letzten Platzreserven. Hält der Zuwachs auf derzeitigem Niveau an, müssten 2022 bis zu 2000 neue Plätze geschaffen werden.

Sozialsenatorin Anja Stahmann kündigte am Donnerstag an, zunächst 500 weitere Plätze einrichten zu wollen und eine "Beschleunigung der Verfahren im Zusammenwirken mit der Ausländerbehörde und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" anzustreben. Das Thema steht am Donnerstag auf der Tagesordnung der Sitzung der Deputation für Soziales, Jugend und Integration.

Die Entwicklung speist sich nach Darstellung der Behörde im Wesentlichen aus zwei Quellen. Zum einen gibt es einen Anstieg der Zahlen im normalen Asylverfahren, wobei Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien im Vordergrund stehen. Allein aus Afghanistan kamen im August rund 130 Menschen in die Hansestadt. Dabei wird es nicht bleiben, denn das Bundesinnenministerium hat den Ländern als grobe Schätzung insgesamt rund 50.000 Flüchtlinge aus Afghanistan angekündigt. Nach dem geltenden Verteilungsschlüssel müsste Bremen davon rund 500 aufnehmen.

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Was den Verantwortlichen in der Sozialbehörde Kopfzerbrechen bereitet, sind jedoch insbesondere die starken Zugänge vom Westbalkan. So kamen im August allein aus Albanien, Nordmazedonien und Serbien rund 350 Menschen in Bremen an. In der Regel stellt dieser Personenkreis keinen Asylantrag, weil die genannten Staaten in der Asylgesetzgebung als sichere Herkunftsländer eingestuft sind und deshalb prompte Rückführung drohen würde. Stattdessen wird meist eine sogenannte Duldung beantragt. Das entsprechende Verwaltungsverfahren dauert länger und verspricht zumindest einen Aufenthalt von einigen Monaten in Deutschland. Es findet – anders als beim Asylverfahren – auch keine rasche Umverteilung der Antragsteller in andere Bundesländer statt. Sie bleiben erst einmal in ­Bremen.

Das hat Folgen. Nach der Bewältigung des massiven Zustroms syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge waren die Zugangszahlen ins Asylsystem über einen längeren Zeitraum kontinuierlich zurückgegangen. In den Aufnahmeeinrichtungen des kleinsten Bundeslandes sanken die Bewohnerzahlen, sodass die Unterbringungsstandards auch an die Erfordernisse der Corona-Pandemie angepasst werden konnten. Doch diese Standards können schon jetzt nicht mehr gehalten werden. Beispiel Vegesack: Die dortige Landeserstaufnahmestelle (Last) an der Lindenstraße ist baurechtlich für eine Maximalkapazität von 734 Personen ausgelegt, unter Pandemiebedingungen sollten dort eigentlich nur 250 Menschen wohnen. Zum Stichtag 24. September waren es indes 427. Ähnlich sieht es in der Außenstelle Obervieland aus.

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Händeringend bemüht man sich aktuell in der Sozialbehörde, weitere Plätze zu schaffen. „Wir haben unter anderem den bestehenden Vertrag mit der Jugendherberge im Stephaniviertel verlängert“, nennt Sprecher Bernd Schneider eine der bereits ergriffenen Maßnahmen. Geprüft werde zudem, Mobilbauten auf dem Parkplatz vor der Vegesacker Last aufzustellen, möglicherweise auch vor der Außenstelle Alfred-Faust-Straße. Solche Wohncontainer – nach dem Abflauen der Flüchtlingskrise 2015/16 bundesweit zu Tausenden ausrangiert – sind allerdings inzwischen wieder knapp. Mit einem Hostel in der Nähe des Hauptbahnhofs befindet sich die Behörde laut Schneider in fortgeschrittenen Gesprächen über eine Anmietung mehrerer Etagen während des Winters.

Doch weshalb drängen derzeit überhaupt so viele Menschen vom Westbalkan nach Bremen? Weder in der Sozial- noch in der Innenbehörde gibt es dazu belastbare Erkenntnisse. „Uns ist das Phänomen bekannt, wir haben aber keine Erklärung dafür“, sagt Karen Stroink aus dem Pressereferat der Innenbehörde. Inoffiziell ist zu hören, dass es sich bei den meisten Ankömmlingen um Personen aus der albanischen Hauptstadt Tirana und zwei weiteren Regionen des Landes ­handele.

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In Niedersachsen registrieren die Behörden und kommunalen Spitzenverbände keinen vergleichbaren Zustrom, jedenfalls nicht vom Balkan. „Unsere kreisfreien und großen selbstständigen Städte melden nur einen sehr leichten Anstieg“, sagt Stefan Wittkop, Beigeordneter beim Niedersächsischen Städtetag. Ähnlich die Darstellung aus dem niedersächsischen Innenministerium. Für sein Bundesland ergebe sich „kein erkennbarer Anstieg der Zugangszahlen aus den Westbalkanstaaten“, so Sprecher Pascal Kübler. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 weisen die Zahlen für 2021 sogar einen leichten Rückgang aus.

++ Dieser Artikel wurde am Donnerstag um 12.29 Uhr aktualisiert. ++

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