Die Wege, die Greta Schütte durch das Hermann-Böse-Gymnasium (HBG) läuft, sind vor ihr schon einige Mitglieder ihrer Familie gegangen. Praktisch seitdem die Schule 1905 unweit des heutigen Bremer Hauptbahnhofes gegründet wurde, sind Generationen der Familie dort unterrichtet worden. Jeden Morgen nimmt die 15-Jährige deshalb den Weg aus Bremen-Lesum auf sich. Mit dem Zug dauert die Fahrt nur etwa 15 Minuten. „Das hat Tradition bei uns“, sagt sie.
In den ersten beiden Stunden steht an diesem Tag Mathe auf dem Plan – nicht gerade Gretas Lieblingsfach. Mithilfe einer interaktiven Tafel erklärt der Mathelehrer, wie sich Funktionsgraphen verschieben, wenn man verschiedene Parameter ändert. Es sind Momente wie diese, in denen sich Greta fragt, wann sie das später einmal gebrauchen soll. „Manchmal würde ich es besser finden, wenn wir stattdessen etwas über Steuern oder andere Sachen lernen würden, die uns im richtigen Leben wirklich weiterhelfen“, sagt sie. Dazu zählt für die 15-Jährige auch das Thema Ernährung oder mehr Sportunterricht.
Insgesamt ist Greta mit dem Angebot an ihrer Schule jedoch zufrieden. Anders als viele andere Schulen in Bremen schneidet das Hermann-Böse-Gymnasium bei Vergleichstests regelmäßig positiv ab und liegt zum Teil sogar über dem Bundesdurchschnitt. Die Schule genießt in Bremen einen besonderen Ruf. In der Sekundarstufe I werden alle Schüler bilingual unterrichtet. Für Greta bedeutet das, dass sie Fächer wie Geografie, Biologie und das sozialkundliche Kombinationfach European Studies auf Englisch belegt. Das sei nicht immer einfach. „Aber es hilft, die Scheu vor der Sprache zu verlieren“, sagt die 15-Jährige.
Was das bedeutet, wird in der nächsten Stunde deutlich. Mit Klassenlehrer Randy Gerke geht es für das Fach European Studies in einen der Computerräume. Dort beschäftigen sich die Schüler mithilfe eines Multimediaprojektes mit dem Zweiten Weltkrieg. Als Greta eine Frage auf Deutsch stellt, muss sie ihr Anliegen gleich noch einmal auf Englisch wiederholen. Lehrer Gerke kommt selbst aus Kanada. Er spricht in dieser Stunde konsequent in seiner Muttersprache. Greta hofft, dass ihr das einmal bessere Chancen im Studium und auf dem Arbeitsmarkt verschafft. Sie träumt davon, später als Journalistin für ein großes Magazin zu arbeiten.
Dabei soll ihr auch ein zweiter Abschluss helfen, den sie am HBG neben dem Abitur machen will: das sogenannte International Baccalaureate Diploma (IB). Der Abschluss ist eine international vergleichbare Hochschulzugangsberechtigung, die vor allem in den USA, Kanada und Asien, aber auch in Europa angeboten wird. Im Land Bremen ist das HBG die einzige staatliche Schule, die diesen Abschluss im Programm hat.
Nur wenige Schüler können pro Jahrgang daran teilnehmen. Sofern Greta mit einem Motivationsschreiben überzeugen kann, wird sie ab der 11. Klasse etwa 20 Prozent mehr Unterrichtsstoff belegen müssen als ihre Mitschüler, die das reguläre Abitur machen. „Dafür ist das IB weltweit akzeptiert“, sagt Schulleiterin Sibylle Müller. IB-Schüler sollen sich zudem gesellschaftlich engagieren, 150 Stunden im künstlerischen, sportlichen und allgemeinnützigen Bereich müssen sie nachweisen.
Das HBG wird derzeit von etwa 1000 Schülern besucht, die nach zwölf Schuljahren das Abitur ablegen. Die Schülerschaft verteilt sich über die gesamte Stadt. Mit der Personalsituation an ihrer Schule ist die Direktorin zufrieden. Mehr als viele Kollegen an anderen Schulen in Bremen. Nur im Förderbereich am Nachmittag würde Müller gerne noch mehr anbieten.
"Wir kennen die Vorurteile über Bremer Schulen"
Für Greta und ihre Klassenkameraden ist die Stunde im Computerraum derweil beendet. Es ist Zeit für die Pause. Greta trifft sich mit ihrer Freundin Luisa, die in ihre Parallelklasse geht. Die beiden Mädchen verbringen fast jede Pause miteinander und drehen ihre Runden über den Schulhof und durch die Gänge. Viele davon sind an diesem Tag jedoch abgesperrt. Dort finden gerade Abiturprüfungen statt. Deshalb gehen die beiden 15-Jährigen nun auf den Schulhof. Dort müssen die beiden immer wieder Fußbällen ausweichen, auf dem Hof ist nur wenig Platz. „Das ist eigentlich überall so, weil das Gebäude relativ alt ist und man nur schwer Sachen umbauen darf“, sagt Greta. Das HBG steht schon seit Langem unter Denkmalschutz.
Normalerweise unterhalten sich Greta und Luisa in den Pausen über den neuesten Tratsch, wie sie selber sagen. An diesem Tag soll es aber um den Ruf des Bremer Bildungssystems gehen. „Ja, wir kennen die Vorurteile über Bremer Schulen auch von Freunden aus dem Umland“, sagen sie. Besonders deutlich sei das geworden, als die Klasse von Greta einen Hit auf der Videoplattform Youtube gelandet hat. Zusammen mit der Fernsehsendung Galileo haben sie dafür einen Beitrag zum Thema Spickzettel aufgenommen. Das Video wurde bereits mehr als 3,4 Millionen Mal aufgerufen, was die Schüler natürlich freut. „Viele haben in den Kommentaren geschrieben, dass das für Bremen normal sei. Das fand ich wiederum ziemlich unfair“, sagt Greta.
An ihrer Schule gefallen ihr vor allem das große Fächerangebot und die vielen Aktivitäten, die drum herum angeboten werden. Unter anderen ist das Gymnasium auch noch Europaschule und bietet im Zuge dessen entsprechende Angebote an. „Ich glaube, dass ich mit meinem Abschluss nachher gute Chancen habe. Natürlich hängt das auch von meinem Notendurchschnitt ab“, sagt sie. Trotzdem gibt es Kleinigkeiten, die Greta an ihrer Schule gerne ändern würde. „Manchmal würde ich mir mehr Unterstützung für die Referendare wünschen. Da geht es in unserer Klasse schon mal drunter und drüber.“
Auch den Unterricht kurz vor den Ferien findet die 15-Jährige kritisch: „Wir schauen da oft nur noch Filme oder es findet kein richtiger Unterricht mehr statt. Dafür muss ich nicht in der Schule sein“, sagt sie. Ihre Mutter Kirstin Darsow-Schütte sieht das ähnlich. „Vertretungsstunden, in denen man nur verwahrt wird, bringen keinem etwas“, sagt sie, als Greta von der Schule nach Hause kommt.
Im Großen und Ganzen hätten sie und ihr Mann das Bremer Bildungssystem jedoch nie in Frage gestellt. Zwar gebe es in Bremen auch Schulen, an denen deutlich etwas verbessert werden müsse, das sei jedoch auch in anderen Bundesländern der Fall. „Wir haben großes Vertrauen, weil es in Bremen viele Möglichkeiten gibt und weil wir hier positive Erfahrungen gemacht haben“, sagt Darsow-Schütte.
Für Greta wird es in den kommenden Wochen besonders spannend. Im Sommer wird sie für ein Jahr in die USA gehen und bei einem Austauschprogramm mitmachen. Auch ihre beiden Brüder haben daran schon teilgenommen. Wo genau es hingeht, erfahren die 15-Jährige und ihre Familie erst kurz vorher. „Ich bin ziemlich gespannt“, sagt Greta. Sie erhofft sich davon, ihr Englisch weiter zu verbessern und viele neue Erfahrungen zu sammeln – etwa bei einem klassischen amerikanischen Abschlussball.
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Im letzten Teil unserer Bildungsserie sind wir zu Besuch bei einer Berufsfachschule.