Dass die Standards des humanitären Völkerrechts manchmal eben doch globalisierte Wirtschaftsinteressen überwiegen, zeigte sich im Mai 2017 im südafrikanischen Port Elizabeth. Die Zollbehörden der Hafenstadt beschlagnahmten damals die 54 000 Tonnen schwere Phosphatladung, die an Bord eines Frachters aus der seit 1976 völkerrechtswidrig von Marokko besetzten Westsahara auf dem Weg nach Neuseeland war. Ein spektakulärer Fall. Der Warenwert betrug 5,2 Millionen US-Dollar. Im Februar 2018 schließlich urteilte das Oberste Gericht in Südafrika, dass die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS), der Exilstaat der saharauischen Urbevölkerung in den algerischen Flüchtlingslagern, rechtmäßige Eigentümerin der Phosphatfracht sei. Ein Präzedenzfall auch für die Befreiungsbewegung Frente Polisario, die von der UNO anerkannte Vertreterin des Kampfes der Saharauis um ihr Recht auf Selbstbestimmung.
Umstrittenes Fischmehl
Nun hat Südafrika aufgrund seiner eigenen Geschichte der Unterdrückung eine besondere Beziehung zur Westsahara. Im Gegensatz zu Deutschland etwa wird die DARS von Pretoria als eigener Staat anerkannt. Schiffe mit völkerrechtlich umstrittener Fracht aus den besetzten Gebieten der Westsahara kommen allerdings auch in Bremen regelmäßig an. Seit Juli 2018 hat das internationale Recherchenetzwerk Western Sahara Ressource Watch im Holzhafen drei Schiffslieferungen mit Fischmehl aus El Aaiun, der dortigen Hauptstadt, identifiziert, deren Herkunft als marokkanisch und nicht als aus der Westsahara kommend gekennzeichnet war.
„Bei diesen Importen handelt es sich um Fischmehl, das zu fast 80 Prozent aus Fischen aus den Gewässern vor der besetzten Westsahara und ohne Zustimmung des saharauischen Volkes, des Souveräns dieses Hoheitsgebietes ohne Selbstregierung, gewonnen wurde. Dies stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar“, heißt es in einem Factsheet, das der Bremer Verein Freiheit für die Westsahara jüngst zusammengestellt hat.
Die Rechtslage ist in der Tat kompliziert. Es stehen sich Vertragsrecht, geregelt über verschiedene Assoziierungsabkommen zwischen Marokko und der EU, sowie das Völkerrecht gegenüber. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Dezember 2016. Dort heißt es, dass die entsprechenden Abkommen, zu dem auch eines über Fischereiprodukte gehört, nicht für das Gebiet der Westsahara anzuwenden sind. Zumindest nicht bis die politischen Vertreter der Saharauis ihr Einverständnis zum Handel mit den natürlichen Ressourcen ihres Landes, zu denen auch große Phosphatvorkommen gehören, gegeben haben. Trotzdem blieb der Bremer Zoll mit Verweis auf das Steuergeheimnis damals untätig. Seit Juli diesen Jahres gibt es ein vom EU-Parlament beschlossenes neues Abkommen, das auch die Gebiete der besetzten Westsahara mit einschließt. Die Frente Polisario bestreitet allerdings, ihr Einverständnis für den Handel mit den Ressourcen ihres Landes gegeben zu haben.
Ein Dilemma auch für die Bremer Politik, da man sich in der Hansestadt schon länger solidarisch mit der Sache der Saharauis zeigt. 2013 bekam die aktuelle Trägerin des alternativen Nobelpreises Aminatou Haidar den Bremer Solidaritätspreis verliehen. In einem fraktionsübergreifenden Beschluss sprach sich die Bürgerschaft 2016 für die Durchführung des UN-Referendums zum Selbstbestimmungsrecht der Saharauis aus. „Wir haben das neue Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko mit Entsetzen zur Kenntnis genommen“, sagt Antje Grotheer (SPD), Vizepräsidentin der Bürgerschaft und Schirmherrin des Kuratoriums des Vereins Freiheit für die Westsahara. Auch sie sieht mit den Lieferungen von Fischmehl nach Bremen das Völkerrecht verletzt. Ihr Ziel ist es weiterhin, ein Gutachten in Auftrag zu geben, das den Handlungsspielraum des Bremer Senats abklärt. Der zieht sich bisher auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei außenwirtschaftlichen Fragen zurück. „Das Bundesland Bremen kann keinen eigenen Importstopp verhängen“, heißt es in der Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom November 2018.
„Es gibt immer noch kein ausreichendes Monitoring-System, wie es im EuGH-Urteil vorgesehen ist, um die Unterscheidung der Produkte aus der Westsahara und Marokko zu kontrollieren und inwiefern die saharauische Bevölkerung vom Handel damit profitiert“, kritisiert Joachim Schuster, Bremer SPD-Abgeordneter im EU-Parlament. Ursprünglich sei ein solcher Mechanismus schon für Ende 2019 von der EU-Kommission in Aussicht gestellt worden, nun solle er im dritten Quartal 2020 kommen. „Da wird auf Zeit gespielt“, meint der Parlamentarier.
Mit der ehemaligen Protektoratsmacht Frankreich hat das Königreich Marokko einen mächtigen Verbündeten aus der EU an seiner Seite. Auch Spanien, bis 1976 ehemalige Kolonialmacht in der Westsahara, bevor Marokko dort mit 300 000 Zivilisten einmarschierte, hat bis heute starke wirtschaftliche Interessen in dieser Region. Vor allem beim Fischfang. Und trotzdem: „Die Verhandlungen zwischen Marokko und der Frente Polisario über den Friedensprozess müssen wieder aufgenommen werden. Es geht um die letzte Kolonie Afrikas“, erklärt Joachim Schuster.