Hunderte Menschen haben in einer Feierstunde Abschied von Hamburgs früherem Bürgermeister Voscherau genommen. Er war im Alter von 75 Jahren an einem Hirntumor gestorben. Bei den Trauerreden beeindruckte vor allem sein Bruder Eggert.
Ehe er seine Rede beginnt, hält Eggert Voscherau kurz inne. Vor dem überlebensgroßen Foto seines Bruders Henning ballt er die Faust, droht mit ihr mehrfach und will damit offensichtlich zeigen, dass er es mindestens für eine Unverschämtheit hält, dass der Bruder und frühere Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg mit nur 75 Jahren gestorben ist. Und das, wo er doch noch so dringend gebraucht würde, als Ehemann, Vater, Großvater, Anwalt, ja auch als Sozialdemokrat und Politiker.
Hunderte geladene Gäste sind an diesem sonnigen Freitag ins Thalia Theater gekommen, um Abschied zu nehmen von Hamburgs mit fast zehn Jahren am längsten amtierenden Regierungschef der Nachkriegsgeschichte - unter ihnen SPD-Chef Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Bürgermeister Olaf Scholz (beide SPD) sowie die Ehrenbürger Uwe Seeler und Michael Otto.
"Ein Macher, Manager, Modernisierer"
Sie alle wollen sich verabschieden vom gebürtigen Hamburger, der ein "ernsthafter Stadtmanager und sorgender Landesvater, Wertkonservativer und Sozialdemokrat, charmanter Gastgeber und ideenreicher, geschliffen formulierender Intellektueller" gewesen sei, wie Bürgermeister Scholz sagt. Oder wie SPD-Chef Gabriel es ausdrückt: ein "erfolgreicher Macher, Manager, Modernisierer", dessen Tod schmerzhaft sei und eine tiefe Lücke reiße. "Die deutsche Sozialdemokratie verneigt sich vor einem ihrer wirklich Großen."
Üblicherweise treffen sich Trauergemeinden in Hamburg zur Erinnerung an prominente Verstorbene gern in großen Kirchen, etwa im Michel wie bei Voscheraus engen Freunden Loki und Helmut Schmidt. Die Voscheraus wollten das jedoch ausdrücklich nicht. Die Familie wählte das Thalia Theater, schließlich haben Henning und Eggert ihre halbe Kindheit dort hinter der Bühne oder in den Garderoben verbracht. Ihr Vater Carl, der 53 Jahre früher als Henning auch an einem 24. August starb, war Jahrzehnte Schauspieler in dem Theater nahe der Binnenalster.
"Mir bleiben viele Erinnerungen, mein großer, kleiner Bruder", sagt Eggert. Etwa 1952 der Beitritt in den Klipper Tennis- und Hockey-Club mit Sportanlagen im "Hockey-Dorf" Wellingsbüttel. Dort habe es Silvester 1967 nicht nur ein Feuerwerk am Himmel gegeben, sondern auch eines im Clubhaus zwischen Henning und seiner späteren Frau Annerose, mit der er 2021 so gerne noch goldene Hochzeit gefeiert hätte. Und auch wenn Henning es beim Hockey bis in die Erste Liga gebracht habe, habe er später dann doch lieber Golf gespielt, sagt Eggert, "auch weil es sich mit inzwischen dünnen, weißen Beinen (...) in kurzen Hosen mit 70 schlecht Hockey spielen lässt".
Voscherau verzichtete 1997 auf weitere Amtszeit
Henning Voscherau sei als Bürgermeister (1988 bis 1997) und als SPD-Fraktionschef (1982 bis 1987) über die Maßen eingespannt gewesen. Für seine beiden Töchter und seinen Sohn war er dennoch ein präsenter Vater, sagt Eggert. "Er war über alle Entwicklungen und Ereignisse im Leben der Kinder (...) stets informiert." Das gelte auch für seine Enkel. "Seine nur vor elf Wochen zur Welt gekommene jüngste Enkeltochter Mathilda hat er unbedingt noch kennenlernen wollen und dies zum großen Glück der ganzen Familie geschafft."
Obwohl das Wahlergebnis 1997 eine Fortsetzung seiner Arbeit als Bürgermeister zugelassen hätte, verzichtete Henning Voscherau auf eine weitere Amtszeit. Die SPD hatte weniger als 38 Prozent der Stimmen erhalten und damit seine Schmerzgrenze unterschritten. Das sei ihm sehr schwer gefallen, sagt Eggert. "Der Abschied aus der aktiven Politik hat ihm und der ganzen Familie jedoch auch gut getan." So wechselte er zunächst zurück in seinen Beruf als Notar, um dann bei seinem Sohn Christian als Anwalt zu arbeiten, weil ihn die Bundesnotar-Ordnung als eine Art "Altersdiskriminierung" mit nur 70 Jahren dazu nötigte, seinen geliebten Beruf an den Nagel zu hängen.
Auf dem Foto neben dem mit weißen Blumen geschmückten Sarg blickt der Erfinder der Hafencity - damals Europas größtes innerstädtisches Bauprojekt - mit einem leichten Lächeln zuversichtlich nach vorn. Ein paar seiner silbrig grauen Haare stehen keck nach oben. Sein Bruder Eggert sagt mit tränenerstickter Stimme, dass ihr "Schnubbelbubbel" genannter Vater Carl die Kinder-Weihnachtsstücke immer unter dem Gejohle der Kleinen mit dem Satz "Vorhang, hör wir bitten Dich, öffne, öffne, öffne Dich" angekündigt habe. "Nun senkt er sich (...) für seinen ältesten Sohn zum letzten Mal. Ich hoffe, ihr trefft Euch - im Beisein von unserer Mutter."