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Babys gerettet Mehr als 11.000 Tote nach Erdbeben – Bergung ist Rennen gegen die Zeit

Unzählige Menschen in der Türkei und in Syrien bangen nach den Erdbeben um das Leben von Freunden und Angehörigen. Präsident Erdogan hat den Opfern schnelle finanzielle Hilfe zugesichert.
08.02.2023, 12:07 Uhr
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Von dpa

Die steigenden Todeszahlen machen es überdeutlich: Die türkisch-syrische Grenzregion ist von einem der schlimmsten Erdbeben der vergangenen Jahrzehnte heimgesucht worden. Mehr als 11.700 Menschen starben, davon 9057 alleine in der Türkei, in Syrien gab es bislang 2662 Tote. Mehr als 53.000 Menschen seien verletzt, 6400 Gebäude zerstört. 

Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. 

Finanzielle Hilfe für türkische Opfer

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Mittwoch in den Erdbebengebieten im Südosten des Landes angekommen. Er hat den Opfern des verheerenden Erdbebens finanzielle Hilfe zugesagt. Betroffene Familien erhielten jeweils 10.000 Türkische Lira (rund 500 Euro) Soforthilfe, versprach Erdogan in Kahramanmaras.

"Am ersten Tag gab es natürlich einige Probleme, aber am zweiten Tag und heute konnte die Situation bewältigt werden", sagte er. Das Volk habe bei früheren Katastrophen "Geduld gezeigt" und werde das auch wieder tun. Man werde zügig mit den Aufräumarbeiten beginnen. Er kündigte zudem die Einrichtung von Sammelunterkünften an. "Wir können niemals zulassen, dass unsere Bürger auf der Straße bleiben", sagte Erdogan.

Türkei besonders gefährdet

Die Türkei ist wegen ihrer geografischen Lage besonders erdbebengefährdet. Vielerorts wird jedoch auch die dürftige Bausubstanz als ein Grund für die vielen eingestürzten Häuser diskutiert. Betroffene klagen auch über fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung Verschütteter.

Nach Angaben des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz – sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien rund 60.000 Helfer vor Ort. Der Regierungspolitiker sagte, dass in der Nacht zu Mittwoch internationale und lokale Teams vor allem in die Provinzen Adiyaman, Hatay und Kahramanmaras gebracht würden.

Ein Wunder in Syrien

Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden. Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den Überlebenden zusätzlich zu schaffen, viele haben kein Dach mehr über dem Kopf.

Zu den Überlebenschancen generell erklärt Henri Paletta, Vizepräsident des Bundesverbands Rettungshunde: "Man sagt, dass nur wenige Tage eigentlich bleiben." Allerdings seien in der Vergangenheit auch Menschen nach vier oder fünf Tagen gerettet worden. "Wir hoffen natürlich immer auf Wunder."

Von einem solchen "Wunder" konnte am Mittwoch ein Krankenhaus im Norden Syriens berichten. Dort war den Angaben zufolge ein Baby in den Trümmern zur Welt gekommen und hat überlebt. Dem kleinen Mädchen gehe es gut, sagte der behandelnde Arzt Hani Maruf im Krankenhaus Afrin. Das Heimatdorf der Familie nahe der türkischen Grenze wurde von den Erdbeben schwer getroffen. Die gesamte Familie des Babys kam bei der Katastrophe ums Leben.

Junge hat unter Trümmern überlebt

Italienische Feuerwehrleute haben in den Trümmern eines eingestürzten Hauses in der Türkei einen Jungen lebend entdeckt. Wie die Feuerwehr am Mittwoch mitteilte, wurde er in der Stadt Antakya – die auf Italienisch Antiochia heißt – lokalisiert. Gegen Mittag waren die Spezialkräfte demnach dabei, den Jungen unter den Ruinen des Wohnhauses herauszuholen.

Die italienische Feuerwehr hatte am Dienstag rund 50 Mitglieder einer Such- und Rettungseinheit sowie modernes Gerät nach Adana nahe Antakya an die türkische Mittelmeerküste geflogen. In der Nacht konzentrierten sich die Helfer samt Suchhunden dann auf ein fünfstöckiges Wohnhaus, das wegen des Erdbebens eingestürzt war.

Viermonatiges Baby nach 58 Stunden gerettet

Rettungskräfte haben im südtürkischen Hatay nach 58 Stunden unter Trümmern ein vier Monate altes Mädchen gerettet. Die Helfer stiegen in eine Lücke zwischen den eingestürzten Hauswänden, wickelten das Baby in eine Decke und hoben es heraus, wie Aufnahmen zeigten. Die Suche nach den Eltern geht nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA weiter.

In Kahramanmaras wurde ein einjähriges Kind mit seiner schwangeren Mutter nach 56 Stunden lebend unter den Trümmern hervorgeholt, wie DHA berichtete. Das Gesicht des Mädchens war weiß vor Staub. Der Vater war schon zuvor lebend gerettet worden.

So ist die Lage in Syrien

Vor Ort erschwert auch die politische Lage die Hilfen – so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Wegen Straßenschäden verzögere sich dort die Lieferung humanitärer Hilfe, sagten UN-Quellen. Aus der Gegend des Grenzübergangs hieß es, einige Hauptstraßen auf dem Weg zur Grenze hätten durch die Beben Risse oder andere Schäden erlitten. Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete in dem Land ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib.

Bab al-Hawa ist der letzte von einst vier Grenzübergängen, über den Hilfen auch in die Teile Syriens gelangen können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von der Regierung von Präsident Baschar al-Assad verteilt. Es gab mehrfach Berichte darüber, dass die Regierung sich daran selbst bereichert etwa durch den Verkauf ans eigene Volk – oder dass bei der Verteilung Gebiete übergangen werden, die die Regierung als verfeindet betrachtet. Der Grenzübergang gilt deshalb als Lebensader für die Menschen im Nordwesten des Landes.

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Trotz der weitreichenden politischen Isolation der syrischen Regierung erhält auch das Bürgerkriegsland Erdbebenhilfe aus dem Ausland. Der Oman eröffnete eine Luftbrücke, um Hilfsgüter zu schicken. Anders als in die Türkei, will der Golfstaat aber keine Rettungsteams ins Land schicken. Der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Mohammed bin Sajid Al Nahjan, hatte Syrien zuvor schon Hilfe in Höhe von 50 Millionen US-Dollar (46,5 Millionen Euro) zugesagt. Die Türkei soll denselben Betrag erhalten. Die VAE wollen in Syrien zudem ein Feldlazarett einrichten und ein Rettungsteam entsenden, wie das syrische Außenministerium berichtete.

Internationale Hilfe für Syrien

Neben mehreren arabischen Ländern sicherten auch der Iran, Russland und China der syrischen Führung Unterstützung zu. Auch aus Indien kam bereits ein Flugzeug mit Hilfsgütern an, ein weiteres mit Medikamenten und medizinischem Material soll folgen, wie Syriens staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete.

Armenien im Südkaukasus hat trotz einer tiefen Feindschaft zur Türkei Rettungsteams ins Erdbebengebiet geschickt. Die Ex-Sowjetrepublik habe 27 Helfer in die Türkei und 29 Helfer nach Syrien entsandt, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. Das Verhältnis zwischen Ankara und Eriwan ist sowohl aus historischen Gründen als auch wegen des Konflikts um die Gebirgsregion Berg-Karabach schwer belastet.

Internationale Geberkonferenz geplant

Zur Unterstützung der Erdbebenopfer will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson eine internationale Geberkonferenz ausrichten. Die Veranstaltung sei für März in Brüssel geplant, teilten beide Seiten am Mittwoch mit, ohne ein konkretes Datum zu nennen. Den Angaben zufolge soll die mit der Türkei abgestimmte Konferenz offen sein für die EU-Staaten, Nachbarländer, Mitglieder der Vereinten Nationen und internationale Finanzinstitute. Ziel sei, die Hilfe zu koordinieren und Unterstützung für den raschen Wiederaufbau und die Nothilfe in den betroffenen Gebieten zu beschaffen.

Erneute Debatte um Sanktionen gegen Syrien

Nach den schweren Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion läuft eine erneute Diskussion um bestehende Sanktionen gegen Syrien. Die syrische Bevölkerung habe wegen der Sanktionen keinen Zugang zur nötigen Ausrüstung, teilte das Außenministerium in Damaskus am Dienstagabend mit. Zivilschützer brauchten doppelt so lang wie sonst bei Erdbeben, um Verschüttete zu erreichen.

Auch Chalid Hbubati, Vorsitzender des Syrisch-Arabischen Roten Halbmonds, und mehrere Geistliche in der Region forderten eine Aufhebung der Sanktionen. Diese dürften sich nicht "in ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwandeln", erklärte der Kirchenrat MECC mit Sitz in Beirut – dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss christlicher Kirchen im Nahen Osten und Nordafrika. 

USA weisen Kritik zurück

Die USA und die EU hatten nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 scharfe Sanktionen gegen Syrien verhängt. Diese sollen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad unter Druck setzen und ihr die Einnahmequellen entziehen.

Bei den Sanktionen gibt es umfassende Ausnahmen für humanitäre Hilfe wie Lieferungen von Lebensmitteln und Medizin. Hilfsorganisationen stehen aber trotzdem immer wieder vor Problemen. Sie riskieren Strafen bei der direkten oder indirekten Zusammenarbeit etwa mit Unternehmen, die die Assad-Regierung unterstützen. Viele Banken, Transportunternehmen, Versicherungen und andere Dienstleister arbeiten überhaupt nicht mehr mit oder in Syrien.

Das US-Außenministerium wies die Kritik zurück. "Jegliche US- oder internationale Sanktionen enthalten humanitäre, medizinische, Essens- und andere Ausnahmen", erklärte eine Vertreterin des Ministeriums bei Twitter. Die USA würden keine Hilfen an Syrien zurückhalten und auch kein anderes Land davon abhalten.

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+++Hinweis: Diesen Artikel haben wir am 8. Februar um 18.21 Uhr aktualisiert.+++

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