Am Dienstagabend hat Lars Prößler seine Hündin Apple mit einer ausgiebigen Dusche vom Staub befreit. "Da ist so viel Dreck rausgekommen," stellt der Hundeführer aus Lemwerder ungläubig fest. "Der Schaum war grau." Prößler verzieht das Gesicht. Eingefangen hatte die Rettungshündin den Staub im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze, in dem in der vergangenen Woche nach aktuellen Erkenntnissen mehr als 40.000 Menschen ums Leben gekommen sind.
Dort waren Prößler und seine Spürnase eine Woche lang im Rettungseinsatz. Die Strapazen sind der belgische Schäferhündin und dem Rettungshundeführer nicht mehr anzumerken. Am ehesten noch dem zweibeinigen Partner des Duos, der nach dem erfolgreichen Einsatz im Katastrophengebiet nun noch einen Marathon als Gesprächspartner zahlreicher Medien absolviert.
Mit ihren dunklen, freundlichen Augen fordert Apple Umstehende auf, sie zu streicheln. "Apple ist eine Schmusemaus", stellt Lars Prößler lächelnd fest und zupft der Hündin am Ohr. Apple hat Nachholbedarf. In der vergangenen Woche war wenig Zeit zum Schmusen. 18 Mal begab sich die Spürnase in die riesigen Trümmerhaufen, die einst Viertel der anatolischen Großstadt Kahramanmaras bildeten.
Einsatzrucksack ist stets gepackt

Zurück in Lemwerder: Lars Prößler und Hündin Apple.
Am frühen Montagmorgen hatte Prößler einen sogenannten Voralarm erhalten. Bereithalten zum Einsatz heißt das. Da die Chance, Überlebende zu retten nach 72 Stunden merklich schwindet, ist ein schnelles Ausrücken wichtig. Prößlers Einsatzrucksack und Reisetasche sind deshalb stets gepackt. "Ein paar Unterhosen und Socken dazu und es kann losgehen", erzählt das ehrenamtliche Mitglied der international tätigen Katastrophenschutzorganisation @fire.
Mittags forderte das Auswärtige Amt die Helfer offiziell an. Am Abend saßen Apple, Prößler und 16 Kollegen im Flieger Richtung Türkei. "Da wir nur mit leichtem Gepäck reisen, können wir einfach in eine Linienmaschine springen", berichtet Prößler. Schweres Gerät kommt mit den größeren Verbänden von I.S.A.R. Germany und dem THW.
Rund 36 Stunden vergingen zwischen Voralarm und Ankunft in Kahramanmaras. Gegen Mitternacht trafen die 17 Helfer aus allen Teilen Deutschlands in der Erdbebenregion ein. "Wir waren mit den Israelis zusammen das erste Team vor Ort", sagt Prößler. An Schlaf war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zu denken. Sofort begann die Suche in den Trümmern.
Nach Erdbeben in der Türkei: Hündin aus Lemwerder ortet vier Menschen in Trümmern
Unermüdlich schickte Lars Prößler seine erfahrene neunjährige Hündin, die mit ihm zusammen bereits nach einer Explosion im Hafen von Beirut und nach der Flutkatastrophe im Ahrtal nach Verschütteten gesucht hatte, auf den Schutthaufen. Nur wenig später ortete die Hündin mit der feinen Nase tatsächlich menschliches Leben unter den Trümmern. Doch es sollte noch rund 20 Stunden dauern, bis sich die Helfer zu den Verschütteten, eine Mutter und ihre Tochter, vorgearbeitet hatten.
"Bevor wir die beiden rausgeholt haben, haben wir noch zwei andere Personen geortet und gerettet", berichtet Lars Prößler. Diese beiden Male allerdings nicht für die Organisation @fire. Die deutschen Helfer sprangen ein, wo sie konnten. "Viele andere Teams haben angefragt, ob unsere Hunde auch für sie suchen können."
Einmal, erinnert sich Prößler, hätten sie einen Baggerfahrer zurückgehalten, über ein Trümmerfeld zu fahren. "Der Hund war da so aufgeregt." Der Ratschlag erwies sich als goldrichtig. "Aus den Trümmern haben wir Stunden später noch zwei Personen rausgeholt."
Suche nach Vermissten ist Schwerstarbeit für den Hund
Unermüdlich hat Apple die Schuttberge erklommen und Hohlräume erkundet. Auch Lars Prößler und seine Kollegen sind durch die Überreste der zusammengestürzten Gebäude gerobbt. "Oben liegen fünf Stockwerke zusammengepresst und die Person befindet sich im Keller", begründet Prößler. Ein Abtragen der oberen Schichten hätte ihm zufolge zu viel Zeit in Anspruch genommen.

Auch nachts suchten die Helfer unermüdlich nach Überlebenden unter den Trümmern.
Zum Erkunden der Hohlräume kommen die ausgebildeten Vierbeiner zum Einsatz. "Wir müssen uns nicht unnötig in Gefahr bringen. Sobald der Hund sagt, es lohnt sich, machen wir uns weitere Gedanken", fasst Prößler einen Einsatz zusammen. Zuhause in der Rettungshunde- und Ortungstechnik-Staffel (RHOT) der Feuerwehr Lemwerder trainieren Apple und ihre Artgenossen das Aufspüren von Menschen auf einem gemeindeeigenen Trümmerfeld.
18 Suchen hat Apple in den Trümmern von Kahramanmaras absolviert. "Das ist Hardcore", zollt Lars Prößler seiner Partnerin Respekt und zupft der Hündin, die es sich im Feuerwehrhaus in Lemwerder zu seinen Füßen bequem gemacht hat, am Ohr. "Man muss zusehen, dass der Hund seine Ruhephasen bekommt und schlafen kann."
An Schlaf war im Erdbebengebiet kaum zu denken
Apple habe die Fähigkeit, überall zu schlafen, wo sie sich hinlegt, ist Lars Prößler dankbar. Er selbst hat während seines Aufenthalts im Erdbebengebiet kaum ein Auge zugetan. Und wenn dann doch einmal Zeit zum Hinlegen war, standen nur Isomatten auf dem blanken Boden zur Verfügung. Komfort gibt es im Einsatzgebiet nicht.
Trotz Ruhephasen war Schäferhündin Apple nach den Worten ihres Begleiters ab Donnerstag "sichtlich kaputt". Ab Freitag hat Lars Prößler sie dann nicht mehr arbeiten lassen. "Sie hat sich die Beine aufgeschrabbt und geschnitten." Bleibende Verletzungen hat sie aber nicht davongetragen. Das hat Prößlers Tierarzt bereits bestätigt.
Einem weiteren Einsatz für das @fire-Team steht somit nichts im Wege. Bis dahin werden sich Lars Prößler und seine Hündin auf den Trainingsgeländen im Umland Lemwerders fit halten.