Daniel Mittelstädt ist Festival-Fan, und er ist sauer. So sauer, dass er sich per E-Mail an den WESER-KURIER wendet. Stein des Anstoßes: das Hurricane-Festival, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Dabei gibt es eigentlich genügend Gründe zum Feiern. Nach zwei Jahren Pause kann in Scheeßel an diesem Wochenende endlich wieder ohne Einschränkungen gecampt, getanzt, gesungen werden. The Killers sind da, Seeed, Deichkind, K.I.Z., Rise Against. Doch bis es losgehen kann, wurden nicht nur Bands verpflichtet, sondern auch das gesamte Drumherum organisiert.
Und dabei haben die Veranstalter nicht nur Mittelstädt, sondern etliche Fans vor den Kopf gestoßen. Es geht um mehrere Punkte in der Planung des Festivals, die bei vielen Besucherinnen und Besuchern nicht gut ankommen – von der Kommunikation über die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln bis hin zum großen Thema Nachhaltigkeit.
Womit wirbt der Veranstalter?
Man sei sich der Umweltauswirkungen einer Großveranstaltung und damit der eigenen Verantwortung bewusst, daher wolle man zeigen, "was im Sinne der Nachhaltigkeit auf einem Festival möglich ist", so steht es auf dem Internetauftritt des Hurricane. Konkret steckt dahinter ein Konzept, das Maßnahmen wie Pfandbecher, eine kostenfreie, wiederverwendbare Wasserflasche pro Person im Backstage-Bereich, eine Food-Sharing-Möglichkeit oder einen extra Camping-Bereich "für Gäste mit umweltbewusster Gesinnung" kombiniert. Dazu kommt die sogenannte "Trasholution" (sinngemäß: Müll-Lösung), die in diesem Jahr anstelle eines Müllpfands in Höhe von zehn Euro tritt: Für abgegebene Müllsäcke wird nicht mehr Geld zurückgezahlt, sondern je ein Euro an soziale Projekte aus der Region gespendet; abhängig von der Anzahl beispielsweise an die Bremer Suppenengel oder das Kinderhospiz Löwenherz.
Was sind die Aufreger?
Mehrere, allen voran: Die Kooperation mit Shein, einer chinesischen Bekleidungsfirma. Sie produziert Fast-Fashion zu Niedrigstpreisen, mehrere Tausend neue Produkte pro Tag macht das Unternehmen in seiner App verfügbar. Sie werden aus Asien direkt an die Kundschaft in Europa versendet, was für längere Versandzeiten, aber auch für sehr wenig Retouren sorgt. Dem Unternehmen werden schlechte Produktionsbedingungen, Produktpiraterie und vor allem eine katastrophale Nachhaltigkeitsbilanz vorgeworfen. Zu Ärger hat ebenfalls geführt, dass im Festival-Kiosk neben Ravioli und Grillwurst keine vegetarischen oder veganen Alternativen angeboten werden, dass Tampons, Binden und Co. auf der Liste der Hygiene-Artikel fehlen, und dass auf Kritik in den sozialen Medien nicht oder nur schnippisch regiert werde.
Was sagen die Fans?
"Von Nachhaltigkeit reden, aber Shein als Sponsor haben... Kannst du dir nicht ausdenken", so schreibt es eine Instagram-Nutzerin unter einen Beitrag des Festivals. Es ist einer von vielen Kommentaren zu diesem Thema. Ein anderer Nutzer schreibt zum Kiosk-Angebot: "Das ist für vegane und vegetarische Personen einfach nur eine Beleidigung." Auch Daniel Mittelstädt hat sich online beschwert. Eine Reaktion darauf gab es nicht. "Ich möchte weder den Menschen die Laune am Feiern vermiesen, noch denen, die Arbeit dort hineinstecken, ein Bein stellen", sagt er. "Und trotzdem ist es wichtig, für manche Themen eine Öffentlichkeit zu schaffen, damit sich vielleicht etwas ändert." Ein Boykott des Hurricane käme für ihn deshalb nicht infrage, aber dass sich die Veranstalter der öffentlichen Kritik stellen, das wünscht er sich schon.
Es sei ein Widerspruch, dass die Festivalmacher offensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit werben, "sich zugleich aber von einem Riesenkonzern und der Ausbeutung, die dahinter steht, finanzieren lassen." Ein T-Shirt aus Asien für weniger, als fünf Euro – inklusive Versand? Das könne nicht funktionieren, ohne Folgen für Menschen und den Planeten, ist Mittelstädt sich sicher. "Die einzig ehrliche Reaktion darauf wäre natürlich, die Partnerschaft zu beenden, aber ich verstehe, dass man das nach den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht möchte." Zusammen mit der neuen "Trasholution" und der Kiosk-Liste ergibt sich für ihn folgendes Bild: "Man muss natürlich abwarten, wie es sich bewährt, aber für mich wirkt das alles wie ein weniger-zukunftsorientiertes, weniger-nachhaltiges Konzept, das durch Vermarktung nun einen grünen Anstrich bekommt."
Wie reagiert der Veranstalter?
In den sozialen Medien ist eine Reaktion der Festivalmacher auf konkrete Kritikpunkte schwer zu finden. Lediglich eine Erklärung, weshalb in diesem Jahr kein Supermarkt auf dem Festival vertreten ist, wurde nachgeschoben. Auf Anfrage äußert sich jedoch Jonas Rohde vom Veranstalter FKP Scorpio. Zur Kooperation mit dem Modeunternehmen Shein betont er, dass Partner im Sponsoring grundsätzlich keinen Einfluss auf die eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen hätten. Rohde weiter: "Wir glauben allerdings, dass es sinnvoll ist, auch mit Unternehmen dieser Größe in ein Gespräch zu gehen, da wir unseren Einfluss nutzen, um bei Firmen ein größeres Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit zu schaffen."
Beim Warenangebot im Festival-Kiosk scheint man Abhilfe schaffen zu wollen. Online wurde das Angebot zwar nicht aktualisiert, aber Rohde sagt, dass neben Knabbereien auch veganes Grillgut vorgehalten werden soll. Grundsätzlich richte sich das Sortiment nach den beliebtesten Produkten der Gäste. Außerdem heißt es, dass beim Umgang mit Müll "positive Anreize", also das Spenden, als zeitgemäßer angesehen würden als das bisherige Pfand-System. Ohnehin werde das Festival-Gelände im Anschluss genau so sauber übergeben wie zunächst vorgefunden.