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Zweifel und Beziehungsängste Max Giesinger über sein neues Album: „Ich ziehe echt krass blank“

"Vier" heißt das neue Album von Max Giesinger schlicht. Im Interview spricht er über Zweifel, Beziehungsängste und eine kreative Zeit in der Eifel.
11.11.2021, 10:57 Uhr
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Von Nadine Wenzlick

Herr Giesinger, auf Ihrem dritten Album hieß es: „Bin den größten Teil bis hierher gerannt / Wär gern irgendwann der Junge, der ankommt“. Mit Ihrem neuen Album „Vier“ scheint Ihnen das ein Stück weit gelungen zu sein. Nun singen Sie: „Ich fang endlich an zu glauben, dass alles, was ich brauche, schon immer in mir steckt“.

Max Giesinger: Ein Stück weit ist genau der richtige Ausdruck. Ich bin noch nicht komplett angekommen, aber ich bin deutlich näher dran. Ich weiß besser, was mich glücklich macht und was nicht, aber auch, wo die richtige Balance liegt. Wenn ich sechs Wochen in den Urlaub fahre und nichts zu tun habe, fällt mir die Decke auf den Kopf. Aber immer arbeiten ist auch nicht gut. Es geht darum zu erkennen, was einen erfüllt und was einen bisher davon abgehalten hat anzukommen.

Sind das Erkenntnisse der Corona-Pause?

Ohne Corona wäre ich wahrscheinlich deutlich später darauf gekommen. Für mich war das eine fast schicksalhafte Zwangspause. Es gab nichts, was ich verpassen konnte: Als während der Corona-Pause plötzlich alles weg war, hatte ich eine viel entspanntere Zeit. Das heißt ja, ich brauche gar nicht so viel zum Glücklichsein…

Und während Sie so entspannt waren, kamen die Ideen von allein?

Genau. Ich liebe es, in meiner Freizeit schöne Dinge zu machen. Mal gehe ich Tennis oder Tischtennis spielen, besuche Michael Schulte oder fahre in die Heimat. Aber nach drei Wochen habe ich dann doch wieder Bock, die Gitarre in die Hand zu nehmen. Also habe ich meine Jungs, mit denen ich Songs schreibe, angerufen und wir sind in die Eifel gefahren. Wir hatten ein Haus mitten in der Natur, neben uns Ziegen- und Schafgehege. Das war eine super Zeit, wie Urlaub. Und ich finde das hört man dem Album an.

Inwiefern?

Die Themen konnten dieses Mal viel mehr sacken. Dadurch wurden die Texte tiefgründiger, persönlicher, noch näher an mir dran. Ich bin härter mit mir ins Gericht gegangen so wie in „Deine Zweifel“, und habe mich gefragt: Woher kommen Dinge wie Bindungsängste?

Sie stellen in dem Song einen Zusammenhang zur Trennung Ihrer Eltern her. Was hat Ihre Mutter dazu gesagt?

Es gab schon Diskussionen, ob der Song so rauskommen kann. Ich ziehe da ja echt krass blank. Es gibt Leute, die ihn sich nicht anhören können. Aber das war für mich ein Zeichen, dass ich damit etwas auslöse. Den Mut, so einen Song zu machen, hätte ich früher wahrscheinlich nicht gehabt. Klar macht man sich damit angreifbar. Aber wenn man dann darüber redet, macht es Platz für die wirklich schönen Themen, die tiefer gehen und nicht so an der Oberfläche hängen bleiben.

Um Ihre Bindungsängste und die Suche nach „der Einen“ geht es gleich in mehreren Songs. Das scheint Sie zu beschäftigen.

Ich glaube, dass wir unterbewusst alle auf dieser Mission unterwegs sind und den einen Menschen suchen. Die Frage ist: Hat uns das die Gesellschaft eingeimpft oder ist es mein ureigener Gedanke und Wunsch? Will ich das nur haben, weil es alle haben? Bin ich fürs Single-Leben gemacht oder bin ich womöglich ein totaler Beziehungsmensch, der durch die Erfahrungen, die er in der Kindheit gemacht hat – Eltern getrennt, problematische Beziehungen – zum Single tendiert? Lebe ich vielleicht die ganze Zeit ein falsches Modell und merke es nicht?

Haben Sie Antworten auf diese Fragen gefunden?

Von diesem „ich will lieber Single bleiben und Karriere machen“ bin ich inzwischen weit abgekommen. Mit 27 oder 28 war das okay, da war ich wahrscheinlich auch noch nicht so weit. Aber jetzt denke ich: Dann spiele ich ein paar Shows weniger, bringe nur alle drei Jahre ein Album raus und habe dafür Zeit für eine Beziehung. Denn ich glaube, ich werde mit 70 nicht da sitzen und mich daran erinnern, wie ich 350 Tage im Jahr unterwegs war und gar nicht mehr hinterher kam mit dem verarbeiten. Sondern wie ich mit einem Mädel eine geile Reise gemacht habe, wir abends zusammen mit Wein auf dem Balkon gesessen, in die Sterne geguckt und geredet haben.

Und wenn die Welt dann zu Ende geht, wie Sie es in dem Song „Der letzte Tag“ beschreiben, was würden Sie an Ihrem letzten Tag unternehmen?

Wahrscheinlich würde man sich von seinen Eltern und Verwandten verabschieden, mit den Buddys noch mal ein Bierchen trinken und sich in den Armen liegen – aber die letzten Stunden würde man zusammen mit der Liebsten auf der Couch liegen. Die Problematik, um die es in dem Song geht, ist ja, dass ich mir schon so viele coole potenzielle Partnerinnen durch die Lappen hab gehen lassen. Die Welt geht unter und du denkst "ach du Scheiße, jetzt sitzt du hier alleine rum"…

Das sind schon krasse Themen, die einige von Max Giesinger sicher nicht erwarten würden, oder?

Jetzt, wo wir drüber reden, denke ich auch: Das ist schon die nächste Ebene. Aber auch musikalisch. Ich will nicht mehr so gefallen. Mir ging es bei diesem Album darum, Songs auch mal anders zu denken. Dann klingen die am Ende eben, wie noch nie ein deutscher Song geklungen hat. Mir war es erst mal wichtig, dass es mir selbst richtig gut gefällt.

Das Gespräch führte Nadine Wenzlick.

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Zur Person

Max Giesinger

wurde 1988 in Waldbronn bei Karlsruhe geboren. In der ersten Staffel von "The Voice of Germany" kam er auf den vierten Platz und finanzierte sein erstes Album durch Crowdfunding. Mit der Single "80 Millionen" landete er zur Fußball-EM 2016 einen großen Hit.

Zur Sache

Kritik: Max Giesingers neues Album "Vier"

Weg von den klassischen Deutschpop-Hymnen, hin zu einem elektronischeren Pop-Sound – das war Max Giesingers Devise für sein viertes Album „Vier“. Tatsächlich sind die zwölf Stücke weniger Band-lastig, dafür rücken Keyboards und elektronische Elemente in den Vordergrund: Vom tropisch-poppigen „Irgendwann ist jetzt“ über das sanft wabernde „Deine Zweifel“ bis zu dem tanzbaren Beat in „Irgendwo da draußen“. Zwischendrin gibt es zudem Balladen wie das akustische „Berge“ und das mit Streichern veredelte Piano-Stück „Das letzte Prozent“ sowie ein Duett mit Madeline Juno. Textlich ist das Album ein Trip in die Untiefen von Giesingers Seele. Der 33-Jährige beschreibt, wie die Trennung seiner Eltern ihn geprägt hat („Deine Zweifel“), setzt seiner Oma ein Denkmal („In meinen Gedanken“) und fragt sich, welches Leben er wohl leben würde, wenn er nicht Musiker geworden wäre („Irgendwo da draußen“). So nachdenklich hat man Max Giesinger bisher nicht gehört.

Info

Max Giesinger tritt am 26. April 2022 im Pier 2 auf.

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