Jeden Tag verarbeitet die Stuhrer Nährmittel GmbH Tonnen von Hafer. Das Getreide ist vielfältig: In der Mühle direkt an der Grenze zu Bremen entstehen Haferflocken, -mehl oder -kleie. Überall in der Produktion liegen mit Hafer gefüllte weiße Säcke. Für Florian Harries steckt aber mehr im Haferkorn als nur eine Müslizutat. In vierter Generation lenkt er das Unternehmen – und dabei kam ihm im wahrsten Sinne eine Schnapsidee. Oats 1912 heißt das Ergebnis.
In einer Brennerei bei Zeven entsteht der Tropfen. "Er schmeckt wirklich nach Hafer", sagt Harries. Einige Verköstigungen waren nötig, um die richtige Mischung zu finden. Nils Kluge kann sich gut erinnern: "Wir hatten lange Testtage", sagt der Mitarbeiter – die Suche nach der Hafernote dauerte. Zunächst sollte es nur um ein Experiment gehen, vielleicht ein Werbegeschenk für Partner, etwas für die Weihnachtsfeier. Nun soll aus dem Haferschnapsprojekt doch mehr werden. Neben dem Klaren gibt es auch einen Likör.

Florian Harries (links) leitet das Familienunternehmen mit den Standorten in Stuhr und Groß Ippener. Nils Kluge unterstützt ihn im Vertrieb – auch beim neuen Produkt Haferschnaps.
Die Mühle der Stuhrer Nährmittel GmbH arbeitet in der Woche rund um die Uhr. Vor allem Hafer wird hier verarbeitet, der an die Industriekunden ausgeliefert wird, die ihn etwa für Müslimischungen oder Porridge verwenden. Im Jahr werden an die 12.000 Tonnen Getreide verschickt. Neben dem Hafer gehören unter anderem Buchweizen, Hirse, Quinoa oder Amaranth zum Sortiment. Alle hergestellten Produkte sind glutenfrei.
Mühle in Groß Ippener verarbeitet 90.000 Tonnen Getreide im Jahr
Am zweiten Standort in Groß Ippener ist das anders. Dort erzeugt Harries Schälmühlenwerk glutenhaltige Getreideprodukte. Wobei der Hafer selbst zunächst kein Gluten enthält. Dazu kommt es erst, wenn der Hafer mit anderen Getreidesorten in Berührung kommt: über die Vorfrüchte auf dem Feld oder später beim Weg in die Mühle. Deshalb müssen die Stuhrer Nährmittel alle Prozesse streng kontrollieren. Darauf achte man "ganz penibel". Nur so können die Produkte für Allergiker bekömmlich sein. Der Hafer landet auch in Keksen oder Backmischungen. Haferdrinks werden von den Kunden hergestellt. "Ein ganz kleiner Anteil geht sogar in Kosmetik", sagt Vertriebler Kluge. Der Haferschnaps ist die einzige eigene Marke.
Wie es zu den zwei Mühlen in Niedersachsen kam? Das hat mit dem Platzproblem in Stuhr zu tun. Das Unternehmen liege hier, so formuliert es Geschäftsführer Harries, in einem "goldenen Dreieck": Die Produktion befindet sich neben einer Hauptkreuzung, alte Gleise grenzen das Grundstück weiter ein. Früher fuhren hierher Züge mit Getreide – bis die Bahn diese Strecken stilllegte. Als das Geschäft immer weiter wuchs, entschloss sich das Unternehmen vor einigen Jahren, in Groß Ippener eine neue Mühle zu bauen, die Hafer, Gerste, Roggen, Weizen und Dinkel verarbeitet – 90.000 Tonnen im Jahr. Zugleich entstand die Möglichkeit, in Stuhr mit einer Tochtergesellschaft einen Fokus auf Alternativen zu setzen: glutenfreie Ernährung.
Der Weg zum Müllermeister führte über Bremen
1912 ist Harries Mühle gegründet worden. Der Name des Haferschnapses spielt darauf an. Bernhard Harries übernahm damals eine Wind- und Dampfmühle bei Huntlosen in Oldenburg. In Moordeich in Stuhr kaufte er ein Grundstück. In den Anfangstagen wurden Futtermittel produziert. In der Zeit sei etwa noch auf Pferdestärke gesetzt geworden, erzählt Florian Harries. Viel Hafer für Tiere sei nachgefragt worden. Sein Großvater habe sich auf die Lebensmittelherstellung für Menschen spezialisiert am Standort in Stuhr – heute der Kern des Geschäfts. Futtermittel wird nur noch in kleiner Menge vertrieben.
Florian Harries ist Müllermeister. Sein Weg begann in der Rolandmühle in Bremen. Es sei richtig gewesen, die Lehre woanders zu absolvieren. Im Familienunternehmen wäre er, so Harries, vielleicht doch als zukünftiger Chef anders behandelt worden. Seit 2018 ist er der Geschäftsführer der Firmen. 20 Beschäftigte arbeiten in Stuhr, in Groß Ippener sind es 70.
Schon länger als andere Branchen spürt man den Fachkräftemangel. In Deutschland werden nur noch wenige Müller ausgebildet. Um selbst für Nachwuchs zu sorgen, bildet Harries aus. Das hat dieses Jahr jedoch nicht geklappt. "Wir haben wirklich keinen Auszubildenden gefunden", sagt Harries. Was die Mühle derzeit noch belastet: Die Energiekosten hierzulande seien wesentlich höher als anderswo in Europa. Das sei früher anders gewesen. Die Nachfrage sei zwar weiter da, zunehmend jedoch Konkurrenz aus dem Ausland zu spüren, weil dort günstiger produziert werden könne. "Seit 2023 haben wir in Deutschland einen absoluten Standortnachteil", sagt Harries mit Blick auf die Energiekosten. "Das muss man ganz klar so sagen." In der Mühle ist Energie etwa nötig, um den Hafer zu dämpfen.
Bio-Haferschnaps lagert ein paar Wochen in Eichenfässern
Harries und Kluge sind mit ihrem Hafer immer wieder über die Grenzen hinaus unterwegs zu Kunden – gerne mit dem Schnaps als Geschenk im Gepäck. Ein Teil des Hafers geht als Export vor allem in die Nachbarländer Deutschlands. Der Vertrieb ist auch auf Messen unterwegs, Anfang November ausnahmsweise auf einer Publikumsmesse in Bremen, bei der die Besucher ihre Kreation probieren können: Auf der "Fisch & Feines" präsentieren die Niedersachsen ihren Oats 1912. Er ist bisher bei Marktkauf in der Region zu haben und über den Onlineshop. Edeka habe auch Interesse signalisiert.
Der Geist des Hafers kostet 30 Euro, der Likör liegt bei 25 Euro. Als Biovariante sind die Schnäpse teurer. Das Besondere dabei: Der Oats Spirit Bio lagert ein paar Wochen in Eichenfässern. Daher ist der Tropfen golden. Das Getreidekorn ist deutlich wahrnehmbar: Etwas erinnert der Geschmack an Hafermilch – aber mit einem angenehm milden Brand dazu.
Schon immer spielte der Hafer im Unternehmen die Hauptrolle. Um ihn ins Schnapsglas zu bekommen, mussten Harries und Kluge Überzeugungsarbeit leisten: In der Branche gab es Vorbehalte. Ein Schnaps aus Hafer? So was machen wir nicht!