Stuhr. Eigentümer von Immobilien im Ortskern Alt-Stuhr haben Anfang Februar Post vom Amtsgericht bekommen. Der Grund: ein Eintrag im Grundbuchblatt, dass ein Sanierungsverfahren stattfindet. Doch der Eintrag ist nicht das einzige, was Dieter Höhnert, Leslie Walsh und andere Eigentümer am Vorgehen der Gemeinde zur Neugestaltung des Ortskerns missfällt. Auch, dass sie nach Abschluss des Sanierungsverfahrens sogenannte Ausgleichsbeträge zahlen sollen, kritisieren sie. "Wir sind nicht total ablehnend, aber das Wie gefällt uns nicht", betont Leslie Walsh. "Das ist kein Miteinander", finden auch Sabine und Ralph Ernst. Für einige Einwände hat man bei der Gemeinde Stuhr Verständnis, das Sanierungsverfahren biete für Eigentümer jedoch auch einige Chancen, heißt es aus dem Rathaus.
Mit der Sanierung möchte die Gemeinde den Alt-Stuhrer Ortskern stärken, dafür soll die Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessert werden. Der Gemeinderat hat sich am 14. Dezember 2022 für die förmliche Festsetzung als Sanierungsgebiet ausgesprochen. Dieses umfasst in der finalen Satzung das Rathausumfeld, Teile der Blockener Straße und der Stuhrer Landstraße, sowie den Bahnhof Stuhr und die St.-Pankratius-Kirche mit dem angrenzenden Friedhof. Die maximale Laufzeit der Sanierung beträgt 15 Jahre. Zum Erreichen der Sanierungsziele kann im Ortskern neu geordnet, aufgewertet und umstrukturiert werden.
Durch förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets kommt zudem ein besonderes Städtebaurecht des Baugesetzbuches zum Tragen (§§ 136-164b Baugesetzbuch). "Diese Regelungen wurden explizit geschaffen, um Städten und Gemeinden die Durchführung von komplexen Gesamtmaßnahmen wie die Ortskernentwicklung zu ermöglichen", teilt die Gemeinde mit. Die Kommune erhält zum Beispiel ein erweitertes Vorkaufsrecht bei Grundstücksgeschäften. Außerdem muss für bestimmte Vorhaben im Sanierungsgebiet eine Genehmigung bei der Gemeinde eingeholt werden. "Damit wird sichergestellt, dass keine Maßnahmen umgesetzt werden, die den Zielen der Sanierung widersprechen", lautet die Erklärung. Während der Laufzeit der Sanierung könnten Eigentümer, die in die Modernisierung und Instandsetzung ihrer Gebäude investieren, auch von erweiterten Abschreibungs- und Sonderausgabenregelungen bei der Einkommenssteuer profitieren.
Ausgleichsbeträge werden fällig
Entfallen würden im Rahmen des Verfahrens auch sogenannte Erschließungsbeiträge, die ansonsten laut Straßenausbaubeitragssatzung fällig werden würden. Da davon ausgegangen wird, dass die Grundstücke im Sanierungsgebiet nach Abschluss eine Wertsteigerung erfahren haben, müssen die Eigentümer anschließend aber voraussichtlich Ausgleichsbeiträge zahlen. "Warum sollen die Eigentümer diese Maßnahmen mitfinanzieren?", fragt sich Dieter Höhnert, der eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus an der Stuhrer Landstraße besitzt. Auch würden er und andere Betroffene gerne wissen, wie hoch diese Beträge ausfallen werden.

Leslie Walsh und Dieter Höhnert (von links) besitzen Eigentum an der Stuhrer Landstraße, sie kritisieren unter anderem den Eintrag des Sanierungsvermerks ins Grundbuch.
Das ist offenbar im Moment noch völlig unklar. "Inwieweit sanierungsbedingte Bodenwertsteigerungen anfallen, kann nur anhand der konkreten verbesserten städtebaulichen Situation in den nächsten Jahren im Gebiet beurteilt werden", erklärt Verena Andreas-Jäger, die im Rathaus im Bereich Städtebauförderung tätig ist. Die Höhe des Ausgleichsbetrages hänge von der tatsächlich für das betreffende Grundstück mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Wertsteigerung ab. Eine Wertsteigerung, die Eigentümer selbst durch private Projekte herbeigeführt haben, werde hingegen nicht über einen Ausgleichsbetrag abgeschöpft. Auch die allgemeine Wertsteigerung am Immobilien- und Grundstücksmarkt werde nicht einbezogen.
An Wertsteigerungen denkt Dieter Höhnert hingegen im Moment gar nicht. "Wir haben jetzt erst einmal einen Wertverlust", spielt er auf den Eintrag im Grundbuch an. Dieser würde auch einen Verkauf erschweren. Zudem kritisiert er die späte Information der Gemeinde. Diese kündigte den Grundbucheintrag erst in der Einladung zu einem Infoabend an, die etwa zeitgleich mit dem Brief vom Amtsgericht verschickt wurde. "Das ist tatsächlich unglücklich gelaufen", räumt Verena Andreas-Jäger ein. Man habe im Rathaus nicht damit gerechnet, dass die Eintragungen vom Amtsgericht so schnell bearbeitet und verschickt werden.
Dieter Höhnert möchte, dass der Grundbucheintrag so schnell wie möglich wieder gelöscht wird, hat dies auch schon schriftlich von der Gemeinde gefordert – allerdings ohne Erfolg. "Wir haben das Gefühl, dass wir bevormundet werden", sagt auch Leslie Walsh. Verena Andreas-Jäger und auch Bürgermeister Stephan Korte können den Unmut über den Grundbucheintrag verstehen. Dieser sei aber Standard im Sanierungsverfahren und habe einen reinen informativen und keinen belastenden Charakter. Der Eintrag werde gelöscht, sobald die Sanierung beendet ist oder das entsprechende Grundstück aus der Sanierung entlassen wurde. "Dies kann geschehen, sobald verlässlich abzusehen ist, dass keine weiteren Sanierungsmaßnahmen einen Einfluss auf das Grundstück haben werden", sagt Verena Andreas-Jäger.
Festsetzung des Gebiets
Auch, nach welchen Aspekten entschieden wurde und welche Straßen und Grundstücke in das Sanierungsgebiet aufgenommen wurden, erschließt sich einigen Anwohnern nicht. "Der Schützenweg ist nicht drin, dabei haben die Anwohner dort doch auch was davon", sagt Dieter Höhnert. Das Sanierungsgebiet konzentriere sich auf den Ortskern Stuhr, entgegnet Verena Andreas-Jäger. Der Schützenweg etwa sei eine reine Wohnstraße. Es gebe zudem weiter entfernte Bereiche, die in der Voruntersuchung betrachtet wurden, sich dann aber für die Umsetzung der Sanierungsziele als nicht relevant erwiesen hätten. "Die Grundstücke östlich der Stuhrer Landstraße vom Schützenverein, Discounterstandort, dem Reiterhof sowie landwirtschaftliche Grünflächen wurden unter Berücksichtigung einer kleineren Sanierungsgebietsgröße nicht in das Sanierungsgebiet aufgenommen", erklärt sie. Sofern sich im weiteren Verfahren dennoch Bedarf zeige, könne die Gebietsgröße überprüft und in Abstimmung mit dem Fördergeber (Land Niedersachsen) angepasst werden.
Sorgen bereitet den Anwohnern und Eigentümern auch, dass unklar ist, was genau im Sanierungsgebiet in den kommenden Jahren passiert, dasselbe gilt für die verkehrliche Entwicklung. Klar ist laut Gemeinde bislang, dass die Durchgangsgeschwindigkeit und die Feinstaubbelastung im Sanierungsgebiet reduziert werden soll, auch wolle man die Fuß- und Radwege verbessern. Außerdem erarbeite ein von der Gemeinde beauftragtes Verkehrsplanungsbüro gerade eine Parkraumuntersuchung für das Sanierungsgebiet. "Dieses Konzept dient als Grundlage für den ab Herbst 2023 startenden Rahmenplanprozess und ist selbst noch kein vollständiger Handlungsleitfaden", kündigt Verena Andreas-Jäger an. Es sei der Gemeinde aber daran gelegen, dass der Prozess im Konsens mit den Betroffenen stattfinde.
Ideen, was im Ortskern verwirklicht werden könnte, gibt es hingegen schon – auch beim Bürgermeister. Er denkt dabei etwa an die Nachnutzung des Feuerwehrgebäudes hinter dem Rathaus. "Ich wollte immer schon eine Einrichtung für Jugendkultur, weil wir hier nichts haben für Jugendliche", sagt Stephan Korte. Auch könne er sich vorstellen, dass in der neuen Ortsmitte mal ein Open Air oder ein Markt stattfindet.