Landkreis Diepholz. 75 Prozent der Niedersachsen halten es für sinnvoll, alle Neubauten mit Solaranlagen auf den Dächern zu bestücken. Das ist ein Ergebnis des Niedersachsen-Checks, einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag verschiedener niedersächsischer Zeitungen gemacht hat. Darunter auch der WESER-KURIER. Wenn es zusätzliche Förderungen gäbe, würden sogar 87 Prozent von 1130 befragten Hauseigentümern sich ein Solardach oder eine Wärmepumpe anschaffen. Wie denken Experten aus dem Landkreis Diepholz über das Thema und wie weit ist der politische Prozess?
Die Energiegenossenschaft Bassum/Twistringen, bis 2019 Bassumer Energiegenossenschaft, bietet regionalen Ökostrom an. Der wird gewonnen aus mittlerweile vier Fotovoltaikanlagen auf öffentlichen Dächern. 2009 baute die Genossenschaft ein „Solardach“ auf die Grundschule Nordwohlde, ein Jahr später auf die Jahn-Turnhalle in Bassum. 2019 folgte Fotovoltaik auf der Mehrzweckhalle in Nordwohlde, 2020 auf der Grundschule Petermoor.
Rainer-Joachim Kuntze ist geschäftsführender Gesellschafter der Energiegenossenschaft Bassum/Twistringen. Auf die Frage, wie er zu verpflichtenden Solaranlagen auf Neubauten steht, antwortet er: „Das ist längst überfällig. Wir hängen dahingehend zehn Jahre hinterher. Was angedacht ist, ist für das, was möglich ist, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ In Deutschland sei es umständlich, eine Fotovoltaikanlage aufs Dach zu bekommen. Das liege nicht an der Technik. Die aus Deutschland, „die gute Ware“, sei hocheffizient. Zudem bräuchten Bauherren zukünftig gar keine Ziegel mehr aufs Dach zu legen, wenn sie Fotovoltaik auf dem Dach hätten. "Das ist eine glatte, schöne, dunkle Fläche“, sagt Kuntze, der einen Baustoffhandel leitet. Darunter werde Blech oder Bitumen verarbeitet.
Rainer-Joachim Kuntze hofft, „dass nun ein Umdenken stattfindet“. Ab 2024 soll es in Deutschland keine Gasheizungen mehr geben. Was empfiehlt der Fachmann? Eine Wärmepumpe, „aber auch dafür brauche ich Strom“. Heißt: „Ohne den Strom aus der Solaranlage zahle ich mich dumm und dusselig.“ Was Kuntze noch fehlt, ist eine Speicherförderung. So ein Speicher gehöre zu einer ordentlichen Fotovoltaikanlage, aber "mangels Masse wurde die Förderung eingestellt". Völlig autark ist man laut Rainer-Joachim Kuntze mit Wasserstoff-Brennstoffzellen. "Dafür braucht es eine Anschubförderung", findet er. "Und dann müssen die industriell hergestellt werden, damit sie schnell zur Massenware werden." Und damit preisgünstiger.
Bürgerinitiative fordert Verbindlichkeit seit 14 Jahren
Die Bürger-Energie-Syke ist eine Genossenschaft von Bürgern, die 2008 im Zuge der Syker Agenda-21-Gruppe Bauen, Wohnen, Energie und Klimaschutz entstand. Vor 14 Jahren setzten sie sich bereits das Ziel, die Umwelt durch Nutzung regenerativer Energien zu schonen. Das erste Projekt war die Errichtung einer Fotovoltaik-Anlage mit einer Leistung von 30 Kilowatt Peak auf dem Dach der Sporthalle an der Ferdinand-Salfer-Straße in Syke. Seit Mitte Dezember 2008 wird der dort produzierte Strom in das Netz des Stromversorgers Eon/Avacon eingespeist. Mittlerweile nennt die Genossenschaft acht Fotovoltaikanlagen ihr Eigen, unter anderem auf dem Syker Rathausdach, und hat 126 Mitglieder.
Die Antwort Ralf Borchers', Vorstand der Bürger-Energie-Syke, auf die Frage, ob es erforderlich sei, dass auch in Niedersachsen in Zukunft bei allen Neubauten Solardächer installiert werden, fällt daher eindeutig aus: "Das halten wir schon seit 14 Jahren für erforderlich." Allerdings reiche das noch nicht, unterstreicht er. In den kommenden zwei, drei Jahren müsse die Investition in regenerative Energien verfünffacht werden, um tatsächlich unabhängig zu werden.
Den Weg in die politische Abstimmung hat die Solardachpflicht derweil bereits in den Gemeinden Stuhr und Weyhe gefunden. Ende Januar hatte die Grünen-Fraktion im Stuhrer Rat in der ersten Sitzung des neu gegründeten Ausschusses für Klima- und Naturschutz, Naherholung und Tourismus einen Antrag auf eine Solardachpflicht für Neubauten gestellt. Dieser war knapp angenommen worden. Die CDU-Fraktion hegte Zweifel, sich auf eine Technologie festzulegen, zumal es in der Gemeinde auch stark verschattete Gebiete gebe. Auch Marktschwankungen und Rohstoffknappheit waren als mögliche Probleme genannt worden. Starre Vorgaben könnten Bauherren dazu bewegen, andernorts zu bauen, hieß es vonseiten der FDP. Michael Schnieder, der für die AfD im Gemeinderat sitzt, jedoch kein Mitglied jenes Ausschusses ist, äußerte, mit einer Pflicht die Bürger zu Investitionen zu „nötigen“. Er sah dies als „soziale Ungerechtigkeit“ an.
Mit ihrem Votum liegen die Stuhrer Fraktionen im Einklang mit dem Niedersachsen-Check. Während 94 Prozent der Anhänger der Grünen und 87 Prozent der SPD eine landesweite Solardachpflicht bei Neubauten für erforderlich halten, sind es bei der CDU 69 Prozent. Bei der FDP trifft eine mögliche Verpflichtung bei 64 Prozent der Anhänger und der AfD bei nur 42 Prozent auf Zustimmung.
In Weyhe hatte die Grünen-Fraktion Ende 2020 einen Antrag auf den Weg gebracht, der die Ausstattung kommunaler Gebäude mit Fotovoltaikanlagen beinhaltete. Es waren jedoch die Sozialdemokraten, die Anfang dieses Jahres forderten, eine Solardachpflicht für Neubauten in Bebauungsplänen festzusetzen und dies auch im Falle von umfänglichen Sanierungen bei Bestandsgebäuden zu prüfen. Die einzige Gegenstimme kam von FDP, die ein Vorschreiben als "Eingriff ins Eigentum" ansah.