Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Kreismuseum Syke Verfolgung von Sinti und Roma im Landkreis Diepholz

Der renommierte Holocaustforscher Hans Hesse thematisierte nun im Kreismuseum Syke die Verfolgung von Sinti und Roma im Landkreis Diepholz. Ein Thema, dem sich das Syker Museum künftig noch mehr widmen möchte.
27.01.2023, 15:49 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Verfolgung von Sinti und Roma im Landkreis Diepholz
Von Lina Wentzlaff

Landkreis Diepholz/Syke. In diesem Jahr beginnt das Kreismuseum Syke ein Thema aufzuarbeiten, das bislang fast gänzlich im Dunkel der Geschichte liegt: die Verfolgung von Sinti und Roma im heutigen Landkreis Diepholz. "Seit den 1980er-Jahren leistet der Syker Stadtarchivar Hermann Greve Aufklärungsarbeit bezüglich der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus. Sinti und Roma sind aber bisher völlig außer Acht gelassen worden", berichtet Museumssprecher Kevin Kyburz. "Und das möchten wir nun ändern." Den offiziellen Auftakt bildete am Donnerstagabend ein Vortrag des renommierten Holocaustforschers Hans Hesse. Weitere Projekte sollen folgen.

Hans Hesse beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Verfolgung verschiedener Gruppen im Nationalsozialismus. Während seiner Doktorarbeit stieß er im Bremer Staatsarchiv auf die Entnazifizierungsakte des Kriminalsekretärs Wilhelm Mündtrath. Dieser Aktenfund ermöglichte erstmals eine intensive Aufarbeitung der Geschehnisse in der NS-Zeit. Mittlerweile hat der Historiker und gebürtige Bremer zwei „Gedenkbücher“ für die NS-verfolgten Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland verfasst. Bei seinem Vortrag im Kreismuseum stellte er die Geschichte von der Sintezza Maria "Mariechen" Franz aus Stuhr vor.

Im Fokus der Nationalsozialisten

Die ersten 14 Jahre ihres kurzen Lebens lebte die Sintezza Maria "Mariechen" Franz bei einer Pflegefamilie in Heiligenrode. "Mein Eindruck ist, dass das junge Mädchen in dieser Umgebung auch behütet aufgewachsen ist", erklärte Hans Hesse nach einem Gespräch mit einer Zeitzeugin. In Heiligenrode besucht sie die Schule, gehört zur Familie und wollte wie alle anderen Kinder auch konfirmiert werden. Dies wird ihr verwehrt. Ihre Familie sorgt dennoch für eine Feier. Diese Normalität wird jäh abgebrochen, als das Mädchen in den Fokus der Nationalsozialisten gerät. Als Mariechen einen Arbeitsplatz in Bremen antreten möchte, wird bekannt, dass sie zur Gruppe der Sinti und Roma gehört. "Dort hat sich ihre Vorgesetzte auf Mariechen eingeschossen", berichtet der Historiker. Das Bremer Erbgesundheitsgericht verfügt die Zwangssterilisation des Mädchens, 1944 wird sie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Vier Tage nach ihrem 17. Geburtstag stirbt Mariechen im Konzentrationslager Ravensbrück.

Lesen Sie auch

"Wir werden an diesem Abend Dinge erfahren, die an die Nieren gehen", betonte der Holocaustforscher. Er sollte recht behalten. Anhand ihres Schicksals zeichnete Hans Hesse am Vorabend des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus die Verfolgung der Sinti und Roma in Nordwestdeutschland nach. Denn Mariechens Schicksal war keineswegs ein Einzelfall in Bremen und umzu. Schließlich entstand die gesellschaftliche Ausgrenzung und Verfolgung durch nationalsozialistische Gesetze.

Die "Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" erhielt den Auftrag, Sinti und Roma administrativ zu erfassen – der erste Schritt zur systematischen Vernichtung. Parallel zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden zwangsweise Sterilisationen vorgenommen, berichtet Hans Hesse. "Das Überleben der Opfer war Zufall, die Ermordung war das einzige Ziel." In der Hansestadt Bremen wurden die Sinti und Roma im März 1943 im Schlachthof aus dem Umland zusammengeführt, um in insgesamt drei Zügen nach Auschwitz deportiert zu werden. "Für ganz Nordwestdeutschland war der Schlachthof ein Sammellager", erklärte der Holocaustforscher.

Diskriminierung in der Gegenwart

Auch Mario Franz, Geschäftsführer der Niedersächsischen Beratungsstelle und Sprecher des Niedersächsischen Verbands Deutscher Sinti, bedankte sich in einem Grußwort beim Kreismuseum für den wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Verfolgung. "Ebenso unerträglich ist aber auch, dass es immer noch Diskriminierung gegenüber Sinti und Roma gibt", betonte er. Umso wichtiger sei es, das Gedenken lebendig zu halten. "Für das Kreismuseum ist der Vortrag nicht der Versuch, das Thema an einem Abend abzuarbeiten, sondern der Beginn von längerfristigen Forschungsvorhaben zu diesem Thema im Landkreis Diepholz", berichtet Museumssprecher Kevin Kyburz. Mario Franz sicherte ihm seine Unterstützung bei der historischen Aufarbeitung zu.

Lesen Sie auch

Zu dieser möchte auch Sebastian Föll einen Teil beitragen, wie er in einem Gespräch erzählt. Der Bremer Student möchte seine Masterarbeit über die zweite Verfolgungswelle von Sinti und Roma im Landkreis Diepholz – also nach dem Zweiten Weltkrieg – schreiben. "Die Verfolgung hat nicht nach 1945 aufgehört, sondern geht im Grunde noch bis heute", erklärt Sebastian Föll. "Die Stigmatisierung und die Diskriminierung ging für sie einfach weiter." Da die Quellenlage allerdings noch äußerst dünn ist, sucht er nun Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Kontakt gibt es über das Kreismuseum Syke (telefonisch unter der Rufnummer 0 42 42 / 9 76 43 39 oder per E-Mail an info@kreismuseum-syke.de).

Zur Sache

Digitale Ausstellung

Mehr als 13 Millionen Menschen wurden im Verlauf des Zweiten Weltkriegs von Deutschen in Europa getötet, darunter alleine rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden, über drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene sowie hunderttausende Sinti und Roma, körperlich oder geistig Behinderte und Zwangsarbeiter. Auch im heutigen Landkreis Diepholz wurden Menschen verfolgt, entrechtet, verschleppt und getötet. Das Kreismuseum Syke hat anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar eine digitale Sonderausstellung entwickelt. Diese finden Interessierte im Internet unter www.digitaleausstellung.kreismuseum-syke.de oder mit wenigen Klicks auf der Internetseite des Kreismuseums unter www.kreismuseum-syke.de unter der Überschrift "Digitales".

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)