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Superfood aus Vechta Bioalgen aus eigenem Anbau

Zwei Schwestern setzen auf die Mikroalge Spirulina. In ihrem Unternehmen entsteht daraus etwa eine Zutat fürs Müsli oder den Salat. Warum die Algenfarm im Oldenburger Münsterland noch ein echter Exot ist.
08.10.2023, 09:01 Uhr
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Bioalgen aus eigenem Anbau
Von Lisa Schröder

Auf den ersten Blick ist nicht gleich zu erkennen, was genau in diesem Gewächshaus eigentlich passiert. Pflanzen? Erde? Gibt es hier nicht. Stattdessen bedecken Wasserbecken mit einer trüben Suppe darin den ganzen Boden – riesengroß, aber das Wasser steht nur 15 Zentimeter hoch. Auf der Oberfläche schimmert ein leichter, grüner Film. Die Farbe verrät, was im Wasser wächst: Die Familie Cordes produziert hier in Großenkneten Algen in Bioqualität – eine Besonderheit.

An diesem Oktobertag ist es noch recht tropisch im Gewächshaus. Die Sonne scheint kräftig, ganz, wie es der Mikroalge Spirulina gefällt. "Wenn es schön warm ist, teilt sich die Alge einmal am Tag. Du hast also eine wahnsinnig schnelle Verdopplung", sagt Caroline Cordes, die das Unternehmen Agri Nova zusammen mit ihrer Schwester Cathleen führt. Lüttge heißt ihre Marke mit Sitz im Oldenburger Münsterland in Vechta. "Viel grün. Viel drauf" lautet der Slogan der von der Landwirtschaft geprägten Region.

Superfood aus dem Norden – damit werben die Schwestern. "Es geht uns darum, den Menschen gesundes Essen nahezubringen", sagt Caroline Cordes. Als Agri Nova veredeln sie auch in kleinerer Menge Grünkohl und eine eigens entwickelte Wildkohlsorte. Eisen, Proteine und Vitamin K steckten unter anderem in ihrer Spirulina aus Deutschland. Wobei die Sorte selbst aus Südamerika kommt.

Die Algenchips der Schwestern werden zu Pulvern, Granulaten, Flocken oder Kapseln verarbeitet. Wer also möchte, kann sich die nährstoffreichen Algen übers Müsli oder den Salat streuen als milde Note mit ganz eigenem Geschmack. Charme hätten ihre Superfoods aus der Region, sagt Caroline Cordes, weil die Wege zum Kunden kurz seien – anders etwa als bei der gehypten Avocado.

In einem Meer aus Mais

Seit Kurzem erst gibt es die Biozertifizierung für die Algen, die mit Resten aus der Lebensmittelindustrie gedüngt werden. Warum heute mitten in einem Meer aus Maisfeldern die Mikroalge Spirulina wächst? Los ging alles mit ihrem Vater Rudolf Cordes. Vor mehr als 30 Jahren begann er, sich mit Algen zu beschäftigen – lange als eine Art Hobby in seinem Gartenbaubetrieb. Schon sein Vater habe, so erzählt er, viel mit Pflanzen experimentiert.

Cordes ist ein echter Tüftler. Am Produktionsstandort gibt es mehrere Laborräume. Das Unternehmen arbeitet viel mit Wissenschaftlern zusammen. Die Geschäfte hat Cordes zwar mittlerweile ganz in die Hände seiner Töchter gelegt. Trotzdem ist der Gartenbauingenieur weiter aktiv. Im Anzucht- und Kulturraum für die Algen stehen etwa verschiedene Pilzsorten im Glas, um die sich der Seniorchef kümmert.

Die Maschinen für die Algenernte sind ebenfalls eine eigene Kreation. "Da steckt echt viel Arbeit drin", sagt Caroline Cordes über den langen Weg. Eine von ihnen streikt jedoch, will in diesem Moment nicht richtig loslegen, das Algenwasser anzusaugen. Rudolf Cordes ruft also einen Mitarbeiter an: Pawel Osip. Er fährt vom Standort in Vechta her.

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Es klappt. Endlich landen die Algen auf dem Förderband – wie ein nasser grüner Teppich. Wie Farbe tropft die Masse nach und nach von dort in einen Bottich. Die beiden Männer schauen zu. Seit 30 Jahren arbeitet Osip im Betrieb. "Pawel ist mein bester Mann", sagt Cordes.

Die matschige Algenmasse wird später schonend bei bis zu 42 Grad erhitzt – bis daraus trockene Chips zur Weiterverarbeitung entstanden sind. Blaugrün sieht die Spirulina am Ende in Krümelform aus. Licht färbt die Algen blau.

Zwei Landwirte besitzen ebenfalls Gewächshäuser mit den Anlagen, um für Lüttge zu produzieren. Über den Onlineshop können die veredelten Bioalgen bislang erworben werden. Ein anderer Teil soll an Weiterverarbeiter gehen, die das Pulver in Nahrungsergänzungsmitteln einsetzen können. Die Schwestern wollen jedoch das Lebensmittel selbst mehr in den Fokus rücken. "Bisher kennt der Kunde die Spirulina nur als Nahrungsergänzungsmittel", sagt Caroline Cordes. "Davon wollen wir weg."

Caroline Cordes ist Gartenbauingenieurin, Cathleen Cordes hat Biotechnologie studiert und schrieb ihre Masterarbeit über Algen. Die Schwestern haben sich ganz von alleine für den Betrieb entschieden – nach eigenen Angaben ohne Druck der Eltern. "In welche Richtung das geht, das war damals noch nicht klar. Ich hätte auch weiter Grünkohl gemacht", sagt Caroline Cordes, die sich um die Pflanzenproduktion kümmert. Ihre Schwester Cathleen, die derzeit in Elternzeit ist, sei die Kreative der beiden. So ergänzten sie sich gut als Führungsduo. Insgesamt arbeiten für das Unternehmen gut 20 Mitarbeiter.

Selten in Europa

Algenfarmen dieser Art sind noch selten in Europa. Die Konkurrenz sitzt laut Caroline Cordes heute vor allem in China und Indien. Die Qualität der Ware von dort sei oft aber nicht gut. Händler hätten deshalb schon mal zu ihrer Verwunderung gefragt: "Habt ihr Teerrückstände in den Algen?" Selbst Schwermetalle seien ein Problem bei der Ware aus dem Ausland. Lüttge ist im Vergleich dazu teurer. "Das ist die Herausforderung", sagt Cordes. "Wir müssen den Kunden vermitteln: Gebt einen Euro mehr aus, dafür kriegt ihr dann Qualität."

Die Algenernte neigt sich bei den sinkenden Temperaturen langsam dem Ende zu. Im Winter ist es einfach zu kalt dafür. Die Wasserbecken werden nicht zusätzlich geheizt. Im Sommer läuft die Hochproduktion. Es gilt: Je grüner das Wasser, desto reifer die Algen. Die haben noch einen weiteren Vorteil: Die Algen bekommen zum Wachsen nicht nur Biodünger, sondern nehmen dabei auch CO2 auf.

Früher produzierte die Familie Cordes noch mehr Gemüse und Obst, Spinat oder Erdbeeren. "Das schaffen wir alles gar nicht mehr", sagt Chefin Caroline Cordes. Die Bioalgen stehen nun im Fokus. Das Geschäft soll weiter wachsen.

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