Der Lilienthaler Gemeinderat steht vor der Entscheidung: Soll das St. Jürgensland beim Ausbau der Windenergie im Landkreis Osterholz bis auf eine kleinere Fläche außen vor bleiben? Oder soll sich die Gemeinde dafür einsetzen, dass zwei ins Auge gefasste größere Flächen doch noch ihren Weg in die Standortplanungen des Landkreises finden? Die Antwort darauf wird es erst bei der für den 13. November anberaumten Sondersitzung des Rates geben. Die vorgeschaltete Zusammenkunft des Bauausschusses am Montagabend im Rathaus stieß zwar auf reges Zuhörerinteresse, die tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit den von der Verwaltung unterbreiteten Vorschlägen zum Thema Windenergie blieb jedoch aus. Das kommunalpolitische Drehbuch sieht vor, dass die Sache erst in zwei Wochen geklärt wird.
Dass der Landkreis Osterholz die Windenergienutzung im St. Jürgensland für die beiden Flächen im Osten und Westen des Gebiets mit Hinweis auf den Natur- und Vogelschutz ausgeschlossen hat, ist für Bürgermeister Kim Fürwentsches nicht akzeptabel. "Dies so pauschal zu tun, läuft meinem Verständnis für eine Herangehensweise zuwider", sagte er am Montag im Ratssaal. Er sei als Bürgermeister unter anderem angetreten, den Klimaschutz und die Energiewende voranzubringen. Statt das St. Jürgensland zur Tabuzone für die Windenergienutzung zu erklären, plädiert er für eine Einzelfallbetrachtung. Sprich: Anders als vorgesehen, soll das St. Jürgensland im geplanten Regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) sehr wohl berücksichtigt werden. Im Zuge der dann folgenden Genehmigungsverfahren könne im Einzelnen geprüft werden, ob der Bau von Windrädern möglich sei oder er so schwerwiegende Auswirkungen habe, dass ein Vorhaben abgelehnt werden müsse. "Wir wollen ein ordentliches Verfahren, in dem alle Punkte hinsichtlich der Verträglichkeit geprüft werden", fordert der Bürgermeister.
Windkraftfreundlicher Berater
Die Lilienthaler Verwaltung hat ihre Bedenken gegen den pauschalen Ausschluss für die beiden Flächen im St. Jürgensland schriftlich zusammengefasst. Für ihre Vorarbeit hat sie Günter Ratzbor als Berater hinzugezogen, der in Lehrte ein Planungsbüro betreibt und sich mit der Verträglichkeit von Windrädern und Vogelschutz befasst. Die Lilienthaler Ratspolitiker haben den Experten bei einer nicht-öffentlichen Zusammenkunft bereits kennengelernt. Er hält Windkraft und Vogelschutz für vereinbar – im Gegensatz zu den Biologen und Vogelexperten der Biologischen Station Osterholz, die zu dem Schluss kommen, dass Windräder im St. Jürgensland massive Folgen vor allem für die Vogelwelt hätten. "Herr Ratzbor war sehr windkraftfreundlich", fasste die Grünen-Ratsfrau Christina Klene im Ausschuss ihren Eindruck von der Begegnung zusammen.
Linken-Ratsherr Andreas Strassemeier hätte es gern gesehen, wenn die Fachleute bereits in der Ausschussrunde den Politikern Rede und Antwort gestanden hätten, um so gut vorbereitet in die anstehende Ratssondersitzung gehen zu können. Er bedauerte, dass die Sache nun anders läuft: Die Vertreter der Bios und Günter Ratzbor sollen am 13. November gehört werden. Danach soll entschieden werden, wie sich die Lilienthaler gegenüber dem Landkreis positionieren.
Einen Punkt, der auf Nachfragen stoßen könnte, hat Ratsherr Strassemeier bereits ausgemacht: Ratzbor, so berichtete er im Ausschuss, hält es für wenig sinnvoll, Windräder mit einer Abschaltautomatik auszustatten, die Vögel davor schützen soll, von den Flügeln der Windräder getötet zu werden. Strassemeier sieht da einen Widerspruch, denn Betreiber von Windparks würden die Abschaltungsmöglichkeit regelmäßig als geeignetes Mittel ins Feld führen, wie sich Schaden von der Vogelwelt abwenden lasse. Der Linken-Ratsherr hätte sich insgesamt eine breitere Diskussion darüber gewünscht, wie es mit der Windkraftnutzung in der Gemeinde weitergehen soll. "Das jetzige Verfahren wird weitreichende Auswirkungen haben, auch für die nachfolgenden Generationen", sagte er.
Mögliche Schäden während der Bauphase
Für den SPD-Mann Kurt Klepsch ist mit einem großen Fragezeichen versehen, ob das St. Jürgensland für die Errichtung von rund 250 Meter hohen Anlagen überhaupt geeignet ist und welche Folgen die Bauphase haben könnte. Er warnt davor, dass beim Bau der Anlagen auf dem moorigen Untergrund große Schäden an der Natur angerichtet werden und sich die Arbeiten über Jahre hinziehen könnten – mit Folgen für die Tier- und Vogelwelt.
Klepsch hat auch Bauchschmerzen damit, dass für die Errichtung der Windräder möglicherweise Moorboden im großen Stil ausgekoffert werden müsse, mit der Folge, dass CO2 in großen Mengen freigesetzt wird und unterm Strich durch die Windräder keine Verbesserung für den Klimaschutz herausspringe. Vonseiten der Verwaltung erhielt er den Hinweis, dass auch solche Punkte im Zuge eines Genehmigungsverfahrens überprüft werden.