Georg Seidler lässt seine weiblichen Jung-Rinder nicht mehr auf die Weide. Der Landwirt aus Schwanewede hat Angst um seine Färsen, nachdem ein Tier aus einer Herde vor Kurzem gerissen wurde. Mutmaßlich vom Wolf, das Ergebnis der DNA-Probe steht noch aus.
Der Wolf geht um in der Gemeinde Schwanewede. Immer häufiger schlägt er auf Weiden und selbst auf Höfen zu. Seine Opfer: Schafe, Ziegen und Rinder. Zuletzt wurden Ende Mai an einem Wochenende zehn Tiere bei drei Übergriffen in Neuenkirchen und Schwanewede gerissen, wie einer Übersicht auf dem Umweltkartenserver des niedersächsischen Umweltministeriums zu entnehmen ist. Neun wurden dabei getötet oder mussten wegen der Schwere der Verletzungen eingeschläfert werden. So wie die Färse von Georg Seidler, die in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai auf einer Weide gegenüber der Schwaneweder Schützenhalle angegriffen wurde. Das Tier war in die Beeke gedrängt worden. Seidler spricht von "massiven Fraßschäden an den Hinterbeinen". Fleischstücke seien aus den Keulen gerissen worden, "bis runter auf die Knochen".
Auf dem Hof von Harm Mattfeldt in Neuenkirchen riss der Wolf in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai vier Ziegen. "Alle wurden mit Kehlbissen getötet." Mattfeldt kennt sich aus, er ist auch Jäger und leitet den Hegering Neuenkirchen der Jägerschaft Osterholz. Der Wolf kam zwei Nächte später nochmal auf seinen Hof. Diesmal zog er zwei der toten Ziegen, die Mattfeld zusammengelegt hatte, auf einen nahen Maisacker und fraß. Eine auf dem Hof installierte Wildtierkamera hat das Ganze festgehalten. "Auf dem Bild kann man erkennen, dass es ein Rüde ist", sagt Harm Mattfeldt. Ziegen will er vorerst nicht mehr halten, "bevor das Problem Wolf hier nicht gelöst ist".
Landwirte sind verunsichert
"Die Landwirte nicht nur in Schwanewede, sondern im ganzen Landkreis sind in großem Maße verunsichert", sagt Stephan Warnken. Der Vorsitzende des Landvolk-Kreisverbandes Osterholz weiß von etlichen Bauern, die ihre Tiere aus Angst vor dem Wolf nicht mehr auf die Weide lassen. Warnken selbst gehört dazu, er betreibt Milchviehwirtschaft in Grasberg. "Unter den jetzigen Bedingungen ist es für mich nicht akzeptabel, meine Tiere rauszubringen. Das Risiko gehe ich nicht ein." Seine Kühe sind jetzt im Stall.
"Wir brauchen eine Wolfsobergrenze", sagt der Landvolk-Vorsitzende. Die fordern auch betroffene Landwirte in der Gemeinde Schwanewede. "Es muss eine Obergrenze geben. So geht es nicht weiter", meint Harm Mattfeldt. Georg Seidler spricht sich für eine wolfsfreie Zone aus. Der Wolf habe seine Berechtigung. "Aber in Gebieten mit intensiver Weidewirtschaft und dichter Wohnbesiedlung, wie hier in Schwanewede, da gehört der Wolf gar nicht hin. Wo er die Grenze überschreitet, müssen Entnahmen stattfinden."
Anfang Dezember vergangenen Jahres waren in Schwanewede-Rade 34 Schafe vom Wolf gerissen worden. Die niedersächsische Landesbehörde für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hatte daraufhin am 14. Januar 2022 eine Abschusserlaubnis für ein beliebiges Tier aus den Rudeln in Garlstedt (Landkreis Osterholz) und Schiffdorf (Landkreis Cuxhaven) erteilt. Die kassierte das Verwaltungsgericht Oldenburg am 22. März wieder ein. Der Gericht bemängelte unter anderem, dass kein bestimmter Wolf als Schadensverursacher benannt und der Schaden auch nicht einem Rudel klar zugeordnet wurde.
Jäger vermuten Wölfe auf Übungsplatz
Jäger im Landkreis Osterholz und in Bremen hegen den Verdacht, dass die vermehrten Nutztierrisse in der Gemeinde Schwanewede und auch auf benachbartem Bremer Gebiet auf das Konto von ganz anderen Wölfen gehen. "Wir haben auf dem Standortübungsplatz in Schwanewede mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eine neue Wolfsansiedlung", sagt Marcus Henke. Für diese Annahme gibt es nach den Worten des Vizepräsidenten der Landesjägerschaft Bremen eine Reihe von Indizien. "Wir haben Fotos von Wildtierkameras, Tritt- und DNA-Spuren vom Wolf, Beobachtungen von Jägern, die Rissereignisse in unmittelbarer Nähe des Übungsgeländes." Was die Jäger auch feststellen: "Wildschweine und Rehe auf dem Übungsgelände sind weg." Das Verschwinden des Schwarzwildes sei seit Herbst 2021 zu beobachten. "Erst waren die Frischlinge weg, dann auch die älteren Tiere." Die Jäger sind überzeugt: Der Wolf ist schuld.
Für sie passen da auch die sich häufenden Nutztierrisse ins Bild. Aus Mangel an Wildtieren würden nun Haustiere für den Wolf interessanter, heißt es vonseiten der Jäger. Ulrich Vey ist Biolandwirt. Der Blumenthaler hat unter anderem eine Rinder-Weide in Rekum, nahe der Landesgrenze zu Schwanewede. Hier riss der Wolf am 18. März ein 280 Kilo schweres Rind. Ein 90 Zentimeter hoher Elektrozaun mit drei Stromdrähten hielt den Jäger nicht ab. Vey wird den Zaun jetzt aufrüsten, auf 1,20 Meter mit künftig fünf Stromdrähten.
Bei der Landesjägeschaft Bremen sieht man die Entwicklung mit Sorge. "Ein Wolf, der gelernt hat, Zäune zu überspringen und Großtiere zu reißen, das hat eine andere Qualität", sagt Marcus Henke. Der Vizepräsident fordert: "Alle Beteiligten müssen sich heute vorbereiten, damit wir im Herbst in der Lage sind, ein Problemtier zu entnehmen, um das Thema Wolf im Landkreis Osterholz und in Bremen zu entspannen." Dazu müssten jetzt noch mehr Spuren gesammelt werden. "Die Politik muss dann über Abschussgenehmigungen entscheiden." Das Umweltministerium in Hannover teilt auf Nachfrage mit: "Die Situation in den Landkreisen Cuxhaven und Osterholz wid genau vom Ministerium für Umwelt beobachtet, um bei Bedarf Managementmaßnahmen einleiten zu können."
Landwirt Georg Seidler aus Schwanewede hält seine sechs bis neun Monate alten Rinder erstmal den Sommer über auf dem Hof. Nur die einjährigen Rinder lässt er auf die Weide. Dort kommen sie nachts hinter Gitter. Ein Gehege mit einem zwei Meter hohen Bauzaun wird Seidler errichten. Für ihn bedeute das alles zusätzliche Kosten und auch mehr Aufwand, sagt der Landwirt. Alle zwei bis zweieinhalb Stunden gehe er jetzt abwechselnd mit seinem Vater auf Kontrollgang an der Weide, auch nachts. "Nach so einem Vorfall kann man nicht mehr ruhig schlafen."