Im Raum ist es mucksmäuschen still. So still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. An den mit Packpapier bespannten Wänden stehen drei Frauen und ein Mann und malen schweigend vor sich hin. Weiße, mit Reißzwecken an den Pinnwänden befestigte Blätter, füllen sich mit Farbe.
Im Malort Meyenburg im alten Pfarrhaus lässt die Gruppe ihrer Kreativität freien Lauf. Das Besondere daran: Jeder kann dort malen, wie es ihm gefällt. Barbara Junghans schaut den Malenden bei ihrem Tun zu. Die Künstlerin und Kunsttherapeutin hält sich dabei im Hintergrund. Sie versteht sich als Unterstützerin, die das Papier bereitstellt und den Palettentisch mit den 18 Farben, Wassergläsern und 54 Pinseln in der Raummitte herrichtet. Sie gibt den Malenden aber nichts vor.
Denn der Malort ist kein Malkurs. Es geht nicht darum, Techniken zu vermitteln oder Tipps zu geben, wie ein Bild besser gemalt werden könnte. Sondern um eine andere Art des Malens nach einem Konzept, das der Pädagoge und Malort-Begründer Arno Stern (1924 bis 2024) entwickelt hat. Der individuelle Malprozess steht im Mittelpunkt, nicht das Ergebnis. Barbara Junghans spricht von der spontanen Äußerung, die mit den Farben und der Bewegung des Pinsels auf dem Papier ihren malerischen Ausdruck findet. "Die Malenden folgen beim Malen ihrem eigenen inneren Impuls, Arno Stern nennt das die innere Spur", erklärt Junghans, die sich 2021 in der Malort-Methode ausbilden ließ und seit September den Malort im alten Pfarrhaus neben der Kirche am Meyenburger Damm anbietet.
Malen ohne Vorgaben
An zwei Tagen in der Woche, donnerstags und freitags, kommen im ehemaligen Jugendraum Menschen unterschiedlichen Alters zusammen, um gemeinsam zu malen. Manche bringen Malerfahrung mit, andere nicht. Das freie Malen, ohne eine Vorgabe, sei am Anfang für sie ungewohnt gewesen, erzählt eine Teilnehmerin aus der Donnerstagsgruppe. Ihren Namen will die Aschwardenerin, ebenso wie die anderen, nicht nennen. "Inzwischen empfinde ich es als sehr wohltuend, dass ich einfach drauflos malen kann." In ihrem Bild aus Gelb-, Orange-, Blau- und Violetttönen prangt ein roter Apfel. Die Idee für den Apfel sei ihr ganz spontan gekommen, erzählt sie.
Für mich ist der Malort ein Wohlfühlort", sagt sie. So erlebt es auch eine Teilnehmerin aus Meyenburg. "Ich komme nach der Arbeit hierher und es geht mir gut", erzählt sie. Das zweckfreie, ganz dem eigenen Gefühl folgende Malen sei für sie eine neue Erfahrung. Auf ihrem Blatt an der Wand malt sie mit langsam kreisenden Pinselbewegungen große graue Punkte. Das Ganze hat etwas Meditatives. Sie genieße das Malen ohne Leistungsdruck, dabei könne sie loszulassen, sagt die Meyenburgerin. Und manchmal sei es auch eine Möglichkeit, sich etwas von der Seele zu malen. "Es gab Tage, wo ich etwas mit mir herumgetragen habe. Das habe ich dann hier zu Papier gebracht." Den Pinsel über das Blatt zu führen und zu sehen, was dabei entsteht, löse bei ihr ein gutes Gefühl aus.
Bilder bleiben im Malort
Ihr Mann sei schon ganz neugierig, frage immer, was sie gemalt habe, erzählt die Meyenburgerin. Doch zu den Spielregeln gehört auch, dass die Bilder den Malort nicht verlassen. Die Werke sollen laut Barbara Junghans die Schätze der Malenden bleiben und nicht vorgeführt und damit der Bewertung durch andere ausgesetzt werden.
Ab und an unterbrechen die Teilnehmer ihre Arbeit auf den Blättern an der Wand und gehen zum Palettentisch, waschen Pinsel aus, nehmen neue Farbe auf. "Wir arbeiten mit Gouache-Farben, die extra für den Malort rezeptiert und in der Schweiz hergestellt werden", erklärt Junghans. "Die Farben haben eine sehr feine Pigmentierung und bieten beim Malen viele Möglichkeiten."
Der Palettentisch sei auch ein Ort der Begegnung, wo sich die Malenden treffen und miteinander ins Gespräch kommen können. Aber nicht müssen. "Ich finde es wohltuend, wenn ich vor mich hin pinseln kann, ohne viel zu reden", meint eine Teilnehmerin, die ebenfalls aus Meyenburg kommt. Sie finde es spannend, sich vom Spiel mit den Farben und der Bewegung des Pinsels leiten zu lassen und zu sehen, was sich entwickelt, sagt sie. "Ich bin von einem Adventskranz ausgegangen, jetzt sieht es eher aus wie ein Auge", meint sie mit einem Blick auf ihr Werk und lacht.
Wobei sie im Malort normalerweise untereinander über ihre Bilder nicht sprechen und sie auch nicht benennen würden, macht Barbara Junghans deutlich. Ganz im Sinne des Konzepts von Arno Stern, das den wertfreien Zugang zum Malen zum Ziel hat.