Dass Worpswede in diesem Jahr ganz im Zeichen Heinrich Vogelers steht, ist unübersehbar. Vor dem Barkenhoff, wo der vielleicht bedeutendste aller in Bremen geborenen Künstler drei Jahrzehnte seines Lebens verbracht und gearbeitet hat, weht eine Fahne mit einem Selbstporträt aus dem Jahr 1914. Ein paar Straßen weiter, in der Großen Kunstschau, in der Worpsweder Kunsthalle und im Haus im Schluh, sind sein Name und seine Werke allgegenwärtig.
Bald ist es 150 Jahre her, dass der Maler, Architekt, Designer, Schriftsteller, kurzum: das Multitalent Vogeler geboren wurde. Anlässlich dieses Jubiläums zeigen zahlreiche Häuser – die vier genannten Museen in Worpswede sowie die Bremer Kunsthalle, das Focke-Museum, die Museen Böttcherstraße und das Bremer Rathaus – in der Ausstellung "Heinrich Vogeler. Der Neue Mensch" seine Werke. Einen Film wird es ebenfalls geben, "Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers", hochkarätig besetzt mit Florian Lukas ("Goodbye Lenin") in der Hauptrolle und ab dem 12. Mai in den Kinos zu sehen.
Kein Wunder also, dass der Medienrummel groß ist, als der Geschäftsführer der Worpsweder Museen, Matthias Jäger, eine Passage aus einem Appell Vogelers an den damaligen Kaiser Wilhelm II. vorliest. Sie dient als verbindendes Element der einzelnen Ausstellungs-Stationen: "Setze an die Stelle des Wortes die Tat! Demut an die Stelle der Siegereitelkeit – Wahrheit anstatt Lüge! Aufbau statt Zerstörung." Es ist der Wunsch eines Mannes, der durch seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg zum radikalen Pazifisten wurde. "Das ist derart zeitgemäß", sagt die wissenschaftliche Leiterin der Barkenhoff-Stiftung, Beate Arnold, "und der Moment, von dem aus wir die Ausstellung aufrollen." In ein Davor und ein Danach.
Gut die Hälfte der Werke hier sind neu dazugekommen, Leihgaben aus Privatbesitz. Manche haben eine abenteuerliche Geschichte hinter sich. Vieles hat Arnold durch Kontakte aufgetan, bei anderen musste sie recherchieren, Traueranzeigen von verstorbenen Sammlern nach möglichen Erben absuchen, um die zu fragen, ob Werke an sie vermacht worden sind. Ein anderes Bild war lange nur in Briefen Vogelers beschrieben und ist erst vor zwei Jahren bei einer Dame im Rheinland aufgetaucht. Nun hängt es neben eigenen Beständen.
Doch bevor Arnold durch den Barkenhoff führt, erzählt Schauspieler Florian Lukas noch von einem für ihn ganz besonderen Vogeler-Moment. Er berichtet, wie er während der Dreharbeiten in seiner historischen Garderobe auf die Urenkelin Vogelers trifft. "Wir haben uns auf eine ganz eigentümliche Art über unsere 'gemeinsame Familie' unterhalten. Sie hat mir sozusagen aus der Zukunft erzählt – ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke", sagt er.
Dann geht es los, im ersten Saal des Barkenhoffs. Hier steht ein Werk Vogelers, das exemplarisch den Bruch im Werk des Künstlers illustriert. Eine doppelt bemalte Leinwand, die Vogeler vor dem Krieg begann und währenddessen fertig gemalt hat. Auf der einen Seite das Bild "Träume I (Melancholie)" von 1912, das eine Frauenfigur zeigt, auf der Rückseite die Ölmalerei "Das Leiden im Kriege" von 1916 – der Kontrast könnte kaum größer sein. "Eigentlich war Vogeler eher ein neutraler Beobachter, seine Werke eher Dokumente von hinter der Front. Aber hier sieht man tatsächlich das Elend, das der Krieg mit sich brachte", erklärt Arnold.
Ebenfalls zu sehen: Das Gemälde, dem die Ausstellung ihren Namenszusatz verdankt – "Die Geburt des Neuen Menschen" von 1923, dem Jahr der ersten Reise Vogelers in die noch junge Sowjetunion. "Es symbolisiert den Umbruch von Heinrich Vogeler und steht für seinen Glauben an den Kommunismus, an eine klassenlose Gesellschaft", sagt Arnold. Dazu kommen unter anderem realistische Malereien, die die Beziehung der sowjetischen Gesellschaft zur Arbeit darstellen. "Hier hat Vogeler seine Kunst in den Dienst der Sache gestellt", sagt Arnold. "Ob das seiner Arbeit gutgetan hat, muss jeder selbst entscheiden."
Nach einem kurzen Spaziergang durch eine idyllische Parkanlage erreicht man die Große Kunstschau. Hier werden Arbeiten und gesellschaftliche Utopien Vogelers einerseits in Beziehung zu Worpsweder Kunstgrößen wie Paula Modersohn-Becker gesetzt. Andererseits werden sie Gegenwartskunst gegegenübergestellt, genauer: 19 zeitgenössischen Werken. Das älteste von 2010, das jüngste ist noch gar nicht fertig. Soll es auch nicht, denn hier verhandeln Kunstschau und Künstler Jakob Wirth noch über Pachtverträge, Untermieten und Passiererlaubnisse für einen eigentlich öffentlich zugänglichen Raumteil. Alles Teil der Inszenierung, selbstredend.
Will man sämtliche Teile der Ausstellung besuchen, ist man lange unterwegs. Da wäre die Kunsthalle, ein paar Straßen weiter, die sich den grafischen Arbeiten Vogelers widmet. Unter dem Titel "Kunst für alle" sind hier vor allem Radierungen des Künstlers zu sehen. Ihr Druck ermöglichte es Vogeler, seine Arbeiten möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Da ist das Haus im Schluh, wo Vogelers gestalterische Arbeiten, Möbel, Porzellan oder Besteck, zu finden sind. Und natürlich die Werke in den Bremer Museen. Es ist tatsächlich, wie Matthias Jäger eingangs sagt: "Es ist ein großer Brückenschlag um das Werk Heinrich Vogelers – von Worpswede bis Bremen."