Landkreis Osterholz. Landrat Bernd Lütjen spricht von einem Systemfehler beim kommunalen Finanzausgleich: Bund und Land entlasten Bürger und Betriebe bei Pandemiefolgen und Preissteigerungen. Aber das geht stets auch auf Kosten der Kommunen: Dort steigen die Aufgaben und Ausgaben durch Rezession und Inflation doppelt so schnell wie die die Einnahmen – wenn diese, wie bei den Kindergartengebühren geschehen, nicht sogar ganz wegbrechen. "Dies ist kein Hilfeschrei, sondern ein grundsätzliches Problem", sagte Lütjen, der am Mittwochnachmittag dem Finanzausschuss die tiefroten Zahlen des Kreishaushalts 2024 erläuterte. Die Misere betreffe alle Städte, Kreise und Gemeinden, unterstrich der Landrat. So wie jetzt, könne es unmöglich bleiben, und entsprechend erhöhten die kommunalen Spitzenverbände nun auch den Druck auf die Regierungen in Berlin und Hannover. Lütjen ist überzeugt: "Die kommunale Familie braucht jetzt einen Doppel-Wumms."
Alle Kreise in den Miesen
Gefordert wird der freilich schon länger. Keiner der 37 Landkreise in Niedersachsen rechnet nach den Worten von Kreis-Kämmerer Florian Hinzelmanns damit, im kommenden Jahr noch schwarze Zahlen schreiben zu können. Allein die elf Kreise im Amtsbezirk Lüneburg werden 2024 ein Gesamtdefizit von 250 Millionen Euro einfahren, hat Lütjen bei seinen Amtskollegen erfahren.

Landrat Bernd Lütjen sieht einen Systemfehler bei der Finanzausstattung der Kreise und Kommunen.
Mit einem prognostizierten Fehlbetrag im Ergebnishaushalt von 31,15 Millionen Euro liegt Osterholz zwar über dem Durchschnitt im Elbe-Weser-Raum – und auch die kommenden Jahre werden nicht besser –, aber das habe nichts mit Unvermögen zu tun: Mehr als 95 Prozent des gesamten Etat-Volumens sind Lütjen zufolge durch Pflichtaufgaben gebunden. Als freiwillige Leistung gelten im Ergebnishaushalt 7,5 Millionen Euro sowie 2,5 Millionen Euro im Finanzhaushalt.
Eine Frage des Spielraums
Ob es sich angesichts dessen überhaupt lohnt, mit spitzestem Rotstift nach Einsparpotenzialen zu suchen, hält Lütjen für fraglich. Der Landrat verweist auf politisch gewollte Mehrausgaben für ÖPNV-Ausbau, Bildungsstätte Bredbeck, Wirtschaftsförderung oder Worpsweder Museumsensemble. Dabei gehöre Sparsamkeit ohnehin zum Kerngeschäft. Der Landrat weiß aber auch: Möglicherweise kommt der Landkreis Osterholz dennoch nicht um ein Haushaltssicherungskonzept herum. Dann würde die Kommunalaufsicht in Hannover den Osterholzern künftig besonders kritisch in die Bücher schauen. Bis zum 5. Dezember soll Klarheit herrschen, ob sich Politik und Verwaltung beugen müssen oder ob sie, wie es das Gesetz erlauben würde, mit indirekten Corona- und Ukraine-Folgen argumentieren können.
"Auch die Kommunen leiden"
Lütjen ist überzeugt: Auch eine höhere Kreisumlage über das vorgesehene Maß hinaus (von 45,5 auf 49,3 Prozent) würde das Problem nicht grundsätzlich lösen. Mit dem jetzt geplanten Schritt holt der Landkreis lediglich das Geld wieder rein, das er parallel über höhere Kita-Zuschüsse an die Rathäuser überweist. Auch eine Absenkung des kürzlich erhöhten Schullastenausgleichs auf das gesetzliche Minimum sei den Kommunen nicht zuzumuten, so der Landrat.
Rücklage schmilzt unerwartet schnell
Von 2012 bis 2021 hat der Landkreis Altfehlbeträge von fast 22 Millionen Euro getilgt und zugleich ein Rücklage-Polster von fast 41,7 Millionen Euro angelegt. Seit 2022 schmilzt es dahin und dürfte nun kaum noch über 2024 hinaus reichen. Der Landkreis steht nämlich vor großen Investitionen für Bildung, Soziales und Digitalisierung. Laut Finanzplanung wird in den nächsten Jahren so viel investiert wie noch nie. Das Problem dabei: Bürokratische Verfahren, Fachkräftemangel und Vergabevorschriften haben bei etlichen Großprojekten zu längeren Planungs- und Vorlaufzeiten geführt. Mit der Umsetzung kommt der Kreis nun mitten hinein in eine Phase rasant steigender Baukosten und Kreditzinsen.
Teuerung schlägt voll durch
Die kalkulierten Kosten für die auf mehrere Jahre angelegten Großprojekte (Pflegeheim-Neubau sowie die Modernisierung von Berufsschule, Kreishaus-Anbau, Klosterplatz-Schule und Feuerwehr-Zentrale) haben sich gegenüber der Planung von vor einem Jahr um einen zweistelligen Millionenbetrag verteuert – "ohne jeden Mehrwert", wie Kämmerer Hinzelmann betont.

Florian Hinzelmann leitet das Kämmereiamt im Osterholzer Kreishaus.
Ebenfalls binnen Jahresfrist klettert der Zuschussbedarf im Bereich Jugend und Soziales um zwölf Millionen Euro auf über 69 Millionen Euro weiter an – nach einem Vorjahresanstieg von 9,6 Millionen Euro. Bund und Land erstatten nur einen Teil der Aufgaben, für die sie zuständig wären; die Kosten für die Unterkunft im Bürgergeld-Bereich schultert der Landkreis zu 30 Prozent selbst.
Mehr Personal nötig
Infolge steigender Fallzahlen und zunehmender Aufgaben wird im Kreishaus kontinuierlich Personal aufgestockt, und auch das geht ins Geld. Die Mehrkosten betragen 2024 – auch infolge der gut zehnprozentigen Tariferhöhungen – mehr als drei Millionen Euro. Elf Planstellen sollen im kommenden Jahr neu geschaffen werden, was nur geringfügig über dem Mittel der vergangenen zehn Jahre liegt.
Hoffen auf Bund-Länder-Einigung
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es, und das sind mögliche Verbesserungen beim Nahverkehr und der Flüchtlingsunterbringung noch im laufenden Quartal. Bund und Länder haben sich bisher darüber nicht einigen können. Hinzelmann erwartet aber, dass das für 2023 eingeplante Defizit zumindest noch unter zehn Millionen Euro gedrückt werden kann. Damit würde das Minus 2024 immerhin um gut drei Millionen Euro weniger finster aussehen.