Landkreis Osterholz. Bei der Aufnahme von Geflüchteten hat das Land Niedersachsen den Gemeinden im Landkreis Osterholz in den vergangenen sechs Wochen eine Atempause gewährt. Nach entsprechenden Hilferufen unter anderem aus der Gemeinde Ritterhude hatte die Kreisverwaltung gegenüber dem Land erklärt, wegen der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt vorerst keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen zu können. Dabei sei es bislang geblieben, teilte die Kreisdezernentin Heike Schumacher im Sozialausschuss mit. Sie rechne aber in absehbarer Zeit mit neuen Zuweisungen der zentralen Landesaufnahmebehörde.
Der Kreis und seine Kommunen blieben dabei, dass eine zentrale Unterbringung in Wohncontainern oder Turnhallen nur die zweitbeste Lösung sei, weil dies die Integration erschwere. Inzwischen aber sehen viele Bürgermeister keine Alternative mehr und nutzen die Zeit für die Vorbereitung von Sammelunterkünften (wir berichteten). Ende September hatten die Gemeinden dargelegt, dass sie die Aufnahmequoten seit dem Sommer bereits übererfüllt hätten, erklärt Sozialamtsleiter Frank Bohling. Das gelte für landesweit ein gutes Dutzend weiterer Landkreise. "Inzwischen wurde uns angekündigt, dass wir bald wieder bis zu 40 Menschen pro Monat aufzunehmen haben", so der Amtsleiter.
Bei den Flüchtlingen handelt es sich hauptsächlich um Vertriebene aus der Ukraine; sie erhalten seit Juli keine Asylbewerberleistungen, sondern die etwas höheren Leistungen des Sozialgesetzbuchs II (Hartz IV) oder XII (Sozialhilfe außerhalb des erwerbsfähigen Alters). Aktuell seien kreisweit 1140 Ukraine-Flüchtlinge registriert, weitere 100 seien inzwischen in die Heimat zurückgekehrt oder in einen anderen Landkreis umgezogen.
Hinzu kommen rund 550 Flüchtlinge unterschiedlichster Nationalitäten; ihre Zahl hat sich gegenüber dem Jahresbeginn fast verdoppelt. Die größte Gruppe stellen aktuell Asylbewerber aus Kolumbien (99 Personen) und dem Irak (79), gefolgt von 49 Menschen aus Afghanistan sowie 35 aus Georgien. "Mit einer schnellen Reduzierung des Zustroms ist nicht zu rechnen, weil die Fluchtgründe sehr vielschichtig sind", erläutert Bohling.
Unterbringung steht obenan
Die Sozialdemokratin Marianne Grigat sagt, die Zahl der Flüchtlinge im Landkreis Osterholz liege inzwischen höher als 2015/16. Aus jener Zeit gebe es Erfahrungen, von denen haupt- und ehrenamtliche Helfer nun profitieren. Ein Problem sei der Wohnungsmarkt, so Grigat. Ob aus der Ukraine oder aus anderen Teilen der Welt: Stets geht es für die Betroffenen zunächst um die Suche nach einem Dach über dem Kopf und gleich danach, wie Sozialamtsleiter Bohling darlegt, um den Erwerb der deutschen Sprache. Er sagt: "Das Angebot reicht bei Weitem nicht aus, die Träger der Sprachkurse haben einfach nicht genügend Kapazitäten."
Mehr als 700 Menschen mit ukrainischem Pass beziehen SGB-II-Leistungen; sie stellen damit zurzeit ein Drittel aller Hartz-IV-Bezieher im Landkreis. Für die Jobvermittlung der Ukrainerinnen und Ukrainer habe die Pro-Arbeit eigens zwei Dolmetscher angestellt; diese haben nach Angaben des Amtsleiters bisher fast 70 Gruppenveranstaltungen zum deutschen Arbeitsmarkt abgehalten. Bei den anschließenden Einzelberatungen gehe es für die Übersetzer um die Ermittlung der individuellen Bedarfe. Mehr als 50 Geflüchtete haben Frank Bohling zufolge inzwischen eine Beschäftigung aufgenommen, mehr als 100 seien in Sprachkurse vermittelt worden.
Zurückkehren oder bleiben
Befürchtungen der Grünen-Kreistagsabgeordneten Erika Simon, die Betreuung der anderen Leistungsberechtigten könnte womöglich zu kurz kommen, teilt Heike Schumacher nicht. "Es kommt im Moment jeder zu seinem Recht", betont die Dezernentin. Es bleibe abzuwarten, wie die weitere Entwicklung verlaufe "und wie die Menschen ihre Perspektive einschätzen". Während anerkannte Asylbewerber nach dem Rechtskreis-Wechsel zum SGB II in aller Regel in Deutschland bleiben und Arbeit finden möchten, sei die Lage bei den Menschen aus der Ukraine "noch sehr fragil", erläutert die Sozialdezernentin.
Schumacher betont, bei der Fallbetreuung sehe sie keine Engpässe. Bis zum März waren die Hartz-IV-Zahlen auf ein historisches Tief gesunken, sodass Personal in andere Sozialabteilungen versetzt werden konnte. Doch inzwischen sei manch ein Mitarbeiter im Jobcenter wieder in alter Funktion tätig. Helfen würde es, wenn es mehr Sprachkurse für Ukraine-Flüchtlinge gäbe. Zurzeit werde erwogen, ihnen mehr Deutschunterricht in digitaler Form anzubieten, zumal große Teile der Zielgruppe recht online-affin seien.
Wilfried Pallasch (Bürgerfraktion) bekräftigt: "Die Sprache ist besonders wichtig für das Zusammenleben." Daran dürfe nicht gespart werden: Angebot wie auch Teilnahme sollten verpflichtend sein. Auch halte er eine dezentrale Unterbringung für den richtigen Ansatz; er danke daher allen, die Wohnraum zur Verfügung stellen. "Ich sehe bei den Bürgern und Behörden viel Fleiß, Kenntnisse, Mühe und Liebe zur Arbeit".