Wenn Martin Gancarczyk erst einmal in eine Geschichte eintaucht, kehrt er für lange Zeit nicht mehr an die Oberfläche zurück. Bis zu 15 Stunden täglich schreibt der Verdener an seinen Büchern. Wer dabei an einen Schriftsteller denkt, der in völliger Stille am Schreibtisch seine Zeilen tippt, liegt falsch: Gancarczyk erstellt Playlists, hört selbst Musik und illustriert Charaktere – für ihn alles ein Teil des kreativen Entstehungsprozesses. Der 39-Jährige hat bisher zwei Urban-Fantasy-Bücher veröffentlicht und an einem weiteren Werk mitgewirkt. In seinen Texten legt der Autor viel Wert auf Diversität, klärt über verschiedene Themen auf und bricht Stereotype.
Aktuell arbeitet der Verdener darauf hin, eines Tages hauptberuflich als Schriftsteller tätig zu sein – seine Leidenschaft für das Verfassen von Geschichten entdeckte Gancarczyk jedoch erst über Umwege. "Ich wusste zwar nicht immer, dass ich schreiben will, aber ich wusste, ich möchte etwas Kreatives machen", sagt er. Über zwei Jahrzehnte war er als Tanzsportlehrer tätig. Nachdem er dieses Hobby aus persönlichen Gründen aufgegeben hatte, benötigte er eigenen Angaben nach ein neues Ventil für seine kreative Energie.
Glück im Unglück
Als Glück im Unglück könnte man seine Anfänge als Schriftsteller wohl bezeichnen. Denn der 39-Jährige geht nicht nur offen mit seiner Sexualität um, sondern auch mit seinen Depressionen. "Ich schrieb meinen Debütroman 'Cold-Blooded: Der Geschmack von Blut und Schatten', als es mir psychisch schlecht ging und fand in dem Hauptcharakter einen Freund, der mir half", erinnert er sich.
Das 2020 erschienene Buch handelt von einer Welt, in der Menschen wie Nutztiere gehalten werden. Der Protagonist Grayson Huff wird vom Gestaltwandler Wayland in Mysterien eingeweiht und nebenbei entspinnt sich zwischen dem Duo eine queere (queer: eine positive Selbstbezeichnung für Menschen, die nicht heterosexuell oder cisgeschlechtlich sind) Liebesgeschichte. "In Grayson steckt viel von mir und das Schreiben hat mir geholfen, mich selbst besser zu verstehen", sagt Gancarczyk.
Etwa ein halbes Jahr arbeitete er an diesem ersten Band einer Fantasy-Reihe. "Meine Liebe für das Genre begann in meiner Jugend mit Pen-and-Paper-Rollenspielen wie Dungeons and Dragons", erinnert er sich. Als Spielleiter erkannte er auch, dass er gerne Geschichten erzählt und ein Publikum mitreißt – zudem setzte er sich erstmals mit Erzählstrukturen auseinander.
Das nötige Fachwissen erlangte Gancarczyk schließlich durch Ratgeber, Seminare und Gespräche mit seiner Lektorin. Auch seine berufliche Ausbildung kommt ihm als Schriftsteller zugute: Der 39-Jährige studierte Mediendesign und Kommunikation in Hamburg. Neben seiner literarischen Tätigkeit ist er als Designer mit Schwerpunkt auf Illustration, Covergestaltung und Marketing aktiv. Die Einbände seiner eigenen Bücher entwirft der Autor ebenfalls selbst.
Sein Debütroman erreichte den neunten Platz beim Lovelybooks-Leserpreis 2020 in der Kategorie Fantasy und Science-Fiction. "Cold-Blooded" habe sich dazu sowohl im Print als auch in E-Book-Form mehrere Tausend Male verkauft. "Mit dem Erfolg kam aber auch der Hass", sagt Gancarczyk. "Mir wurde vorgeworfen, ich würde den sogenannten normalen Autoren den Platz wegnehmen."
Trotz dieser Hassnachrichten ging er seiner Leidenschaft weiterhin nach. Im vergangenen Jahr folgte sein zweiter Fantasy-Roman "Shepard of Sins", dessen erste Auflage nach einer Woche ausverkauft gewesen sei. Zudem wirkte er an dem 2021 erschienen Buch "Urban Fantasy going Queer" mit. In dieser Anthologie versammeln sich Kurzgeschichten von 16 offen queeren Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Phantastik-Szene.
Repräsentation auf dem Büchermarkt
Von Anfang an sei klar gewesen, dass die LGBT-Community (lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) in seinen Fantasy-Büchern eine Rolle spielen sollte. "Früher gab es kaum Repräsentation, homosexuelle Männer hatten in den Medien entweder HIV oder waren der schwule beste Freund", kritisiert er. Und bis heute werden Menschen wie er laut Martin Gancarczyk auch in Europa mit Einschränkungen konfrontiert – so sind bisexuelle und schwule Männer in vielen Fällen nach wie vor vom Blutspenden ausgeschlossen.
Umso wichtiger seien Autorinnen und Autoren, die ungezwungene Geschichten über queere Menschen schreiben würden. "Meine Charaktere sind keine Schablonen, sondern im Vordergrund Vampire, Hexen oder Gestaltwandler und währenddessen eben auch queer", sagt er. Im Gegensatz zu Deutschland sei der US-amerikanische Büchermarkt bereits weiter fortgeschritten und repräsentiere zum Beispiel schwarze, asiatische, schwule oder transgeschlechtliche Menschen. "Ich hoffe, dass der deutsche Büchermarkt diverser wird und möchte eine der Stimmen sein, die sich für marginalisierte Gruppen einsetzt", betont der Autor.
Auf diesem Weg stehen für Martin Gancarczyk noch einige Projekte an. In diesem Jahr soll der zweite Teil seines Buchs "Shepard of Sins" sowie die englische Übersetzung des ersten Teils erscheinen. Im vergangenen Sommer wurde er zudem vom Drachenmond-Verlag aufgenommen – dazu wird demnächst sein Verlagsdebüt sowie ein völlig neues Buch veröffentlicht. "Ich möchte noch besser werden und mein Leben irgendwann durch das Schreiben finanzieren können", sagt der Verdener. Dazu verfolgt Martin Gancarczyk noch ein weiteres großes Ziel: Er möchte eines Tages in einem der großen Publikumsverlage in Deutschland ein Buch mit queeren Charakteren veröffentlichen.