Es wird lange dauern, bis das Urteil gegen Daniela Klette gesprochen ist. Zwei Jahre, vielleicht auch drei, schätzt man in Gerichtskreisen. Eine Zeit der Unruhe an einem sonst so beschaulichen Ort – nicht jeden Tag, aber zweimal in der Woche, in der Regel dienstags und mittwochs.
Im Verdener Ortsteil Eitze wird ein Prozess stattfinden, der bis ins Ausland hinein Aufsehen erregt. Klette gilt als ehemaliges Mitglied der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Sie ist vor dem Landgericht Verden zwar nicht wegen linksterroristischer Taten angeklagt, das wird Teil eines weiteren Verfahrens sein. Außen vor bleibt dieser Hintergrund aber sicherlich nicht. Die 66-Jährige muss sich wegen 13 Raubüberfällen verantworten, die sie mit zwei Komplizen begangen haben soll. Geld beschaffen für das Leben im Untergrund, so die Annahme der Staatsanwaltschaft.
Der Prozess beginnt an diesem Dienstag nicht in Eitze, sondern in Celle, in einem besonders gesicherten Saal am Oberlandesgericht. Die Behörden konnten in Verden nicht schnell genug einen geeigneten Ort finden, nachdem klar war, dass das Landgericht über zu wenig Platz verfügt. Stattdessen wird es jetzt eine Reithalle sein, auf einem Anwesen unweit der Eitzer Mühle. Allerdings erst ab dem 28. Mai, wenn der Umbau beendet ist, teilt die Behörde mit. Bei der Frage nach den Gesamtkosten, einschließlich der Miete für zunächst zwei Jahre, bezieht sich das Gericht auf Angaben des Justizministeriums in Hannover. Demnach sind es mehr als drei Millionen Euro, die für den Prozess in Eitze ausgegeben werden.
Weser-Kurier berichtet aus dem Gerichtssaal
Während in Celle lediglich 38 Plätze für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, wird es in Eitze mehr als das Doppelte sein. Erfahrungsgemäß ebbt das Interesse mit Fortdauer des Verfahrens ab und kocht erst vor der Urteilsverkündung wieder hoch, doch in der ersten Phase ist der Andrang enorm. 57 Medien, darunter fünf aus dem Ausland, wollten beim Start dabei sein – zu viele für die begrenzten Plätze, von denen zehn dem allgemeinen Publikum vorbehalten sind. Das Los musste entscheiden. Der WESER-KURIER hatte Glück und kann vom Geschehen im Gerichtssaal berichten. Wer von den Journalisten nicht zum Zuge gekommen ist, hat die Möglichkeit, den Prozessauftakt in einem benachbarten Saal per Tonübertragung zu verfolgen.
Der schwerste Vorwurf, den Klette auf sich gezogen hat, ist ein versuchter Mord – geschehen vor knapp zehn Jahren beim Überfall auf einen Geldtransporter in Stuhr. Die Angeklagte soll mit zwei Komplizen Waffengewalt eingesetzt haben. Nach Burkhard Garweg und Ernst-Volker-Straub, die früher ebenfalls mutmaßlich zur RAF gehört haben, wird noch gefahndet. Klette wurde vor gut einem Jahr in Berlin-Kreuzberg festgenommen und sitzt seitdem in der JVA Vechta in Untersuchungshaft. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass sie zeitweise ein Apartment im Bremer Steintor bewohnte, kurz vor der Tat in Stuhr. Ein Zusammenhang? Hat Klette damals ausgespäht, was möglich ist?
Klette will Erklärung abgeben
Die Angeklagte will am ersten Prozesstag eine Erklärung abgeben. Sie sei "durchaus aufgeregt", wolle das Verfahren aber auch kämpferisch angehen, berichten ihre Anwälte in einem Interview mit der taz, das am Freitag erschienen ist. "Ja, es wird wohl so sein, dass Frau Klette irgendetwas mit den Überfällen zu tun hatte", heißt es in dem Gespräch. Und insofern gehe es auch um Strafverfolgung. Doch in dieser Dimension habe man das noch bei keinem anderen Raubverfahren gesehen. "Das sprengt jedes Maß." Die Staatsanwaltschaft schaffe das Bild einer Person, die wahnsinnig gefährlich sein soll – "eine Dämonisierung." Tatsächlich sitze sie völlig unauffällig in der JVA Vechta, bringe dort anderen Gefangenen Deutsch bei und beteilige sich an einer Kochgruppe.
Klette wird in der Verhandlung nicht nur mit den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft konfrontiert. Hinzu kommen drei Nebenkläger, darunter der Fahrer des Geldtransporters in Stuhr, der auch als Zeuge auftreten wird. Nach Angaben seines Anwalts sei der Mann nach dem Überfall monatelang arbeitsunfähig gewesen. Die Todesangst, als mit Waffen gedroht und auch geschossen wurde, habe bei ihm ein Trauma ausgelöst, das in der Klinik behandelt werden musste. Die Täter ergriffen damals die Flucht, nachdem sie erfolglos versucht hatten, die Türen des Transporters zu öffnen. Die Beute hätte rund eine Million Euro betragen.
Das Landgericht Verden hat in der vergangenen Woche eine Botin losgeschickt, um die Nachbarn des Anwesens in Eitze in einem Schreiben darüber zu informieren, was ihnen bevorsteht. Damit ist offiziell geworden, was sich in Teilen bereits herumgesprochen hatte und zuerst im WESER-KURIER stand. Der Brief ist kurzgehalten und erwähnt mit keiner Silbe, dass es der Klette-Prozess ist, der in der Reithalle stattfinden wird. Stattdessen ist die Rede von einem "hochsicherheitsempfindlichen Strafverfahren". An den Verhandlungstagen könne es im Umfeld des Veranstaltungsortes zu Beeinträchtigungen kommen, warnt das Gericht. Zur Not sollten sich die Anwohner an die Polizei in Verden wenden.