Über Monate hat sich der Verdener Landgerichtsprozess um das gewalttätige Geschehen in einer Lagerhalle im Stuhrer Ortsteil Brinkum hingezogen, ohne dass sich die drei Angeklagten zu den massiven Vorwürfen äußerten. Erst, als sich schon das Ende abzeichnete, gaben sie doch noch Einlassungen ab. Vor allem etliche Angaben des ältesten Angeklagten, der dem mutmaßlichen Opfer eine gehörige Mitschuld an der Eskalation zugeschrieben hatte, vermochten den Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht zu überzeugen. Er sprach jetzt in seinem Plädoyer von „Schutzbehauptungen“ und forderte für den 26-Jährigen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, besonders schweren Raubes sowie besonders schwerer räuberischer Erpressung.
Auch für die beiden jungen Männer, die den Bremer bei den fast vierstündigen Vorgängen unterstützt haben sollen, wurden hohe Freiheitsstrafen beantragt: fast sechseinhalb Jahre für einen 22-jährigen gebürtigen Bassumer sowie etwas mehr als sechs Jahre für einen in Syke lebenden 24-Jährigen. Sie seien Mittäter gewesen. Die noch bestehenden, aber außer Vollzug gesetzten Haftbefehle, sollten aufrechterhalten bleiben.
Nach Auffassung der Verteidigung hat sich dagegen in vielen Punkten ein ganz anderes Bild ergeben. Für den 26-Jährigen wurde um eine Haftstrafe im noch bewährungsfähigen Bereich, also bis maximal zwei Jahre, nachgesucht, für die anderen sollte es möglichst mit Geldstrafen getan sein.
Der Staatsanwalt hatte zuvor in der großen Landgerichtsdependance für Verhandlungen, der Verdener Stadthalle, noch einmal skizziert, was sich aus seiner Sicht am 5. Februar 2022 in der Halle an der Gottlieb-Daimler-Straße in Brinkum-Nord ereignet hat. Sein vorangestelltes Fazit des Falles nach der eingehenden Beweisaufnahme: Der in der Anklageschrift dargestellte Sachverhalt habe sich „im Wesentlichen bestätigt“. Die Aussagen des Opfers, eines 40-jährigen Geschäftsmannes aus Hannover, seien insgesamt als glaubhaft einzustufen, hieß es, wenngleich einige Widersprüche zwischen den anfänglichen Angaben gegenüber der ermittelnden Polizei und später bei der gerichtlichen Vernehmung nicht verkannt würden.
Der Mann habe zahlreiche Details geschildert und auch keine Tendenz gezeigt, die Angeklagten zu Unrecht zu belasten. So habe er auch erklärt, die beiden jüngeren hätten sich weitgehend „herausgehalten“. Der Einlassung des „Hauptverantwortlichen“ sei nur teilweise zu folgen. Sie enthalte „Schutzbehauptungen“. Sollte es sich bei dem 40-Jährigen tatsächlich um einen sogenannten "Hawala-Banker" handeln, sei es „unwahrscheinlich“, dass dieser bei einer erbeteten Transaktion zu einer Waffe greife, noch dazu an einem für ihn zuvor unbekannten Ort. Er sei auch überzeugt, sagte der Staatsanwalt, dass der Begleiter des Opfers „nicht im Lager der Angeklagten stand“. Der 26-Jährige hatte angegeben, in Wahrheit habe dieser Mann 150.000 Euro in die Türkei transferieren wollen, dem Hannoveraner aber nicht getraut. Man habe gegen ihn nur zum Schein in gemäßigter Form Gewalt ausgeübt.
Die Verteidiger traten den Ausführungen des Anklagevertreters und besonders dessen Beweiswürdigung und Strafforderungen erwartungsgemäß vehement entgegen. Die Aussagen des Handyshop-Betreibers aus der Landeshauptstadt könnten nicht stimmen, wurde am 16. Prozesstag immer wieder betont. Einer der Anwälte meinte gar, der Mann habe vor der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts „ein Schauspiel hingelegt, das seinesgleichen sucht“. Er sei ein „gefährlicher Lügner“. Der Verteidiger des 26-Jährigen beantragte „im Falle einer Verurteilung“ eine Strafe, die es seinem Mandanten erlaube, auf freiem Fuß zu bleiben.
Die Urteilsverkündung ist für den 16. November vorgesehen.