Fragt man in diesen Tagen Pastorinnen und Pastore sowie Diakoninnen und Diakone der evangelischen Kirchen nach ihren ganz persönlichen Gedanken zur sogenannten Missbrauchsstudie, so stößt man auf eine breite Front des Schweigens. Ob lutherisch oder reformiert, fast alle verweisen auf die Pressestellen oder direkten Vorgesetzten ihrer jeweiligen Landeskirchen. Darauf habe man sich unmittelbar nach Veröffentlichung des Gutachtens Anfang Februar verständigt. Die gleiche Antwort auch auf die Frage, wie in den Gemeinden von Bremen-Nord, Schwanewede und der südlichen Wesermarsch die Studie aufgenommen worden sei. Einzig der Pastor der Kirchengemeinde Berne, Thomas Ehlert, gab zu einem von der Redaktion DIE NORDDEUTSCHE vorbereiteten Fragenkatalog vollständig Antworten.
Wie mehrfach in unserer Hauptausgabe berichtet, hatte ein von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragter Forschungsverbund aus acht Universitäten und Institutionen herausgefunden, dass mindestens 2225 Menschen in den vergangenen Jahrzehnten in der evangelischen Kirche sexuelle Gewalt erlebt haben. Sie seien Opfer von mehr als 1259 mutmaßlichen Tätern aus Kirche und Diakonie geworden.
Scham, Entsetzen und Mitgefühl seien seine spontanen Reaktionen gewesen, sagt der Berner Seelsorger. Leider hätte sich seine Vermutung bestätigt, dass die Freiheitsimpulse der 1968er Bewegung hinsichtlich der „sexuellen Revolution“ mancherorts auch Menschen zu Grenzüberschreitungen ermuntert haben. Pastor Ehlert: „Der Einfluss des gesellschaftlichen Klimas von damals ist nicht zu unterschätzen.“
Die Mitarbeitenden auf allen Ebenen der Gemeinden und Einrichtungen von Bremen-Nord haben nach Darstellung der Pressesprecherin der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), Sabine Hatscher, signalisiert, wie gut es sei, dass die „ForuM-Studie“ nun fertig und veröffentlicht sei. Hatscher: „Jetzt haben wir eine gute Fakten-Grundlage, auf deren Basis man arbeiten und weitere Maßnahmen ergreifen kann.“
Für Jutta Rühlemann, als Superintendentin des Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck zuständig für die Gemeinden Schwanewede und Meyenburg, ist es „nur schwer zu ertragen, dass in der Vergangenheit Menschen in unserer Kirche sexualisierte Gewalt angetan wurde“. Rühlemann: „Ich bin entsetzt darüber, dass dies geschehen konnte. Die Erkenntnisse der Studie müssen innerhalb unserer Strukturen zu grundlegenden Veränderungen führen.“ Diese sieht die 62-jährige Superintendentin in den Bereichen Prävention und Aufarbeitung. Mit Betroffenen müsse in den kommenden Jahren intensiv zusammengearbeitet werden. Das sei bisher viel zu wenig geschehen.
850 Personalakten ausgewertet
In Berne hat sich nach Angaben von Pastor Ehlert der Gemeindekirchenrat mit den Ergebnissen der Studie befasst und er selbst habe sie in der „älteren Generation“ thematisiert. Die Kirche in Oldenburg hat nach den Worten des 58-jährigen Berner Pastors „längerfristig und sorgfältig“ an den Akten zu dieser Thematik gearbeitet. So sei es den Gemeinden mitgeteilt worden.
Die Bremische Evangelische Kirche hat nach Angaben von Pressesprecherin Hatscher „umfänglich an der Studie mitgewirkt“ und alle 850 Personalakten von Pfarrpersonen ausgewertet.
Gefragt, welche Stimmung die Studie in den Gemeinden ausgelöst habe, erklärte der seit 1997 in Berne arbeitende Seelsorger: „Natürlich Entsetzen. Aber auch der Hinweis darauf, dass nicht nur die Kirche, sondern auch andere Bereiche gesellschaftlichen Lebens betroffen sein könnten.“ Spontan hätten ältere Menschen auf die Erziehungsheime der 1950er Jahre hingewiesen, wo Menschen mit Erziehungsauftrag unkontrolliert agieren konnten und das Machtgefälle ausgenutzt haben.
Jutta Rühlemann, seit 20 Jahren im Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck tätig, kennt keine aktuellen Fälle des Missbrauchs in ihrem Zuständigkeitsbereich. In wenigen mehr als 30 Jahre zurückliegenden Fällen seien nach ihren Kenntnissen sofort und unmittelbar dienstrechtliche Konsequenzen gezogen worden.
Übereinstimmend hoffen Rühlemann, Hatscher und Ehlert, dass die Studie Betroffene ermuntert, sich vertrauensvoll an angebotene Stellen der Kirche zu wenden, damit die Aufarbeitung noch intensiver gestaltet werden kann. Alle Mitarbeitende in Gemeinden, diakonischen Diensten sowie in der Kinder- und Jugendarbeit seien durch umfangreiche Schulungen für die Thematik sensibilisiert. Gemeinsam auch die Erkenntnis der drei Kirchenvertreter, dass verlorenes Vertrauen in die Kirche nur durch „Null-Toleranz“ zurückgeholt werden kann. Die 61-jährige BEK-Pressesprecherin: „Vertrauen hängt daran, dass wir transparent aufarbeiten, gute und nachhaltige Präventionsarbeit leisten mit Schulungen und Schutzkonzepten und uns allen Fragen und Anliegen offen stellen.“