Wie sind stationäre Pflegeeinrichtungen auf Krisenfälle wie Überschwemmungen und Blackouts vorbereitet? Wie werden die pflegebedürftigen Menschen im Katastrophenfall aus lebensbedrohlichen Situationen in Sicherheit gebracht? Und wie funktioniert das Zusammenspiel der Häuser mit Rettungs- und Hilfsdiensten? Antworten auf diese Fragen soll das Projekt „Life-Grid“ liefern, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird.
Eine Antwort auf die Fragen zu suchen, sei wichtig und richtig, meint Hans Schröder, der Geschäftsführer des Kückens Altenpflegeheims in Berne. Sein Haus sei auf einen Katastrophenfall wie einen großen Deichbruch, der Wasser bis in den Berner Ortskern schwemmen würde, jedenfalls nicht vorbereitet. Zu unwahrscheinlich erschien das Szenario bislang. Mit den Bildern von Überschwemmungen ungeahnten Ausmaßes weltweit um Hinterkopf, freut sich Schröder allerdings bereits auf Ergebnisse des Forschungsprojekts.
Im Gegensatz zu einer wasserbedingten Katastrophe sei das Kückens Altenpflegeheim auf einen möglichen Blackout vorbereitet. "Das Notstromaggregat ist da." Mit den örtlichen Freiwilligen Feuerwehren würden zudem in unregelmäßigen Abständen Evakuierungen geübt. "Brandschutz- und Notfallübungen machen wir regelmäßig", teilt Hans Schröder mit.
Trillerpfeifen und Konserven
Die Awo Wohnen und Pflege Weser-Ems GmbH, zu der auch das Haus am See in Lemwerder gehört, hält laut Prokurist Sebastian Roth für ihre 20 Einrichtungen Krisenkonzepte vor. Ein Notstromaggregat werde im Wohnpark in Lemwerder zwar nicht vorgehalten, aber es sei geregelt, welche örtlichen Katastrophenschutzvereine kontaktiert werden. Im Haus bestehe aber eine Offline-Versorgung für die Software, sodass trotz eines Stromausfalls auf Daten der Bewohner zugegriffen werden könnte.
Da bei einem Stromausfall auch die komplette Notklingelanlage im Haus ausfallen würden, stehen in der Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt Trillerpfeifen zur Verfügung, die an die Bewohnerinnen und Bewohner ausgeteilt würden. "Zur Notversorgung im Küchenbereich halten wir Konserven vor", teilt Sebastian Roth auf Nachfrage mit.
An einen Hochwasserfall sei noch nicht konkret gedacht worden. Allerdings stehen im Haus am See Evakuierungsnotfallpläne bereit. "Im Rahmen der Corona-Pandemie-Planung haben wir uns Gedanken gemacht, wohin die Bewohnerinnen und Bewohner umverlegt werden können", berichtet Sebastian Roth.
„Mit dem Projekt Life-Grid gehen wir deutlich über bestehende Notfallpläne des Katastrophenschutzes hinaus und bereiten uns strategisch auf die Versorgung hilfebedürftiger Menschen vor, die im Fall einer Überflutung oder energiekritischen Lage in Lebensgefahr wären“, erläutert Matthias Wenholt, Erster Kreisrat, das Projekt "Life-Grid", das vom Landkreis Wesermarsch geleitet wird. Zu den Partnern gehören die Jade Hochschule, das Deutsche Rote Kreuz, das Institut für Gefahrenabwehr, die Großleitstelle Oldenburg-Land, der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband sowie die Landesvereinigung für Gesundheit und die Akademie für Sozialmedizin.
Zentralregister für Hilfsbedürftige
Die Überlegung: Während Krankenhäuser generell mit Notstromversorgungen und Evakuierungsplänen ausgestattet sind, weisen die meisten Alten- und Pflegeheime und fast alle privaten Wohnungen weder eine Notstromversorgung noch die Möglichkeit einer externen Stromeinspeisung auf. „Schon in der Vorbereitung auf das Projekt haben wir festgestellt, dass ein Zentralregister hilfreich sein kann, pflegebedürftige Personen wie Beatmungs- und Dialysepatienten örtlich und zahlenmäßig zu erfassen, um sie im Krisenfall retten zu können“, sagt Wenholt.
Welche technischen und kommunikativen Maßnahmen noch erforderlich sind, soll während des vierjährigen Projekts herausgefunden werden. An den Lösungen arbeiten rund 20 assoziierte Partner mit – von freiwilligen Organisationen wie der DLRG bis hin zum Technischen Hilfswerk und Pflegeeinrichtungen. „Am Ende wird ein Strategiekonzept stehen, das auch für andere Landkreise, die vor ähnlichen Fragestellungen stehen, beispielgebend sein wird“, ist Matthias Wenholt sicher.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat den Förderbescheid für das insgesamt rund fünf Millionen Euro teure Projekt kürzlich zugestellt. Der Landkreis partizipiert daran mit 1,5 Millionen Euro. Die restlichen Mittel verteilen sich auf die Partner. Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, unterstreicht die Bedeutung des Vorhabens: „Wir wollen Städte und Gemeinden dabei unterstützen, zukünftige Herausforderungen in Krisensituationen noch besser und schneller zu bewältigen. Deshalb stellen wir über 30 Millionen Euro zur Verfügung, damit vielversprechende Lösungen aus der zivilen Sicherheitsforschung ihren Weg in die Praxis finden.“ Die Bevölkerung spielt aus Sicht des Parlamentarischen Staatssekretärs dabei eine entscheidende Rolle, denn sie ist nicht nur von Krisen betroffen, sondern trägt maßgeblich zu deren Bewältigung bei.