Wer angesichts der dramatisch steigenden Corona-Zahlen eine Regierungserklärung von Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil erwartet hatte, wurde enttäuscht. Sein Platz vorne im Landtag blieb am Dienstag leer. Der SPD-Landeschef zog es vor, in Berlin bei den Verhandlungen über eine Ampel-Koalition im Bund ein Wörtchen mitzureden. „Wegducken“ sei bei dieser Lage der falsche Weg, kritisierte Grünen-Sozialexpertin Meta Janssen-Kucz. „Damit machen Sie sich keine Freunde.“
Am späten Nachmittag meldete sich der Ministerpräsident dann doch noch – allerdings nur schriftlich. Seine Staatskanzlei präsentierte die bereits seit Tagen erwartete neue Corona-Verordnung. Diese dehnt die Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte weiter aus. Die 2G-Regel, die nur Geimpften und Genesenen, aber nicht mehr Getesteten den Besuch größerer Veranstaltungen erlaubt, gilt künftig nicht erst ab Warnstufe 3, sondern schon ab Warnstufe 1. „Wir müssen jetzt vorbeugenden Brandschutz betreiben“, erklärte Weil. „Es darf in keinem Fall zu einer Situation kommen, in der wir durch Engpässe auf unseren Intensivstationen doch wieder zu einem Lockdown gezwungen werden.“
An ein flächendeckendes 2G für alle Bereiche, wie es gerade das Bundesland Sachsen eingeführt hat, will sich Niedersachsens rot-schwarze Landesregierung derzeit nicht heranwagen. Zuvor hatte der Niedersächsische Landkreistag (NLT) ein leichteres Umschalten auf Zugangsbeschränkungen gefordert. „Das Warnsystem reagiert zu träge. Es sollte schneller ein Übergang zur 2G-Regel erfolgen“, betonte NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer. Außerdem brauche man dringend „eine schärfere Gangart gegen Impfverweigerer“.
Corona in Niedersachsen: Neue Verordnung tritt Mittwoch formal in Kraft
Das Regelwerk, das an diesem Mittwoch formal in Kraft tritt und ab Donnerstag gelten soll, sieht außerdem eine tägliche Testpflicht für ungeimpfte Mitarbeitende in Alten- und Pflegeheimen vor. Wegen diverser Corona-Ausbrüche in Schlacht- und Zerlegebetrieben müssen sich die dort Beschäftigten zwingend alle zwei Tage testen lassen. Auf die ursprünglich für Diskotheken und Shisha-Bars geplanten Lockerungen bei den Kapazitäten verzichtet die neue Verordnung.
Für Weihnachtsmärkte enthält sie eine Klarstellung. 3G gilt dort jetzt für die „Entgegennahme“ und nicht mehr nur für die „Erbringung“ von Bewirtungsleistungen. Der neue Begriff soll verhindern, dass ein getesteter Besucher für seine ungetesteten und ungeimpften Kumpels den Glühwein besorgt. Umgekehrt werden geimpfte und genesene Personen im 2G-Modell beim Essen und Trinken sowie bei der Nutzung von Fahrgeschäften von Maskenpflicht und Abstandsgeboten befreit.
Die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche je 100.000 Einwohner sank in Niedersachsen leicht auf 103,1. Die Rate von Einweisungen in Krankenhäuser lag bei 4,0. Auf den Intensivstationen waren sechs Prozent der Betten durch Covid-Patienten belegt. Ein Überschreiten bestimmter Werte löst die drei Corona-Warnstufen aus. Das war bisher noch nicht der Fall, da der Leitindikator Klink-Neuaufnahmen noch nicht den kritischen Wert von 6,0 gerissen hat. Trotzdem müsse Niedersachsen vorsichtig sein, mahnte der Ministerpräsident. Die Ungeimpften erhöhten auch für die Geimpften die Gefahr, sich doch noch zu infizieren, die Zahl der Impfdurchbrüche steige. „Deswegen bauen wir jetzt eine Brandmauer und erhöhen sie sukzessive“, sagte Weil.
Im Landtag sorgte die Art und Weise dieser Erklärung für Empörung. Statt das Parlament angemessen zu informieren, verbreite die Regierung ihre neue Verordnung über Pressemitteilungen, schimpfte Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Zuvor hatte Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD), die wegen einer Erkältung sichtbar angeschlagen war, lediglich von „kleinen Veränderungen“ in der Verordnung gesprochen. Die Ressortchefin kündigte an, dass über 70-Jährige nun doch bald einen Brief mit Informationen über die Corona-Auffrischungsimpfung erhalten sollen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) haben bislang rund 250.000 Menschen in Niedersachsen eine solche „Booster-Impfung“ erhalten.