In Niedersachsen geht die Elektrifizierung des Schienennetzes der Deutschen Bahn AG nur im Schneckentempo voran. Von den insgesamt 3414 bundeseigenen Kilometern Gleisstrecke im Land verfügen derzeit lediglich 2046 Kilometer über Stromleitungen, das entspricht gerade mal 59,9 Prozent. Und eine nennenswerte Besserung ist nicht in Sicht: In den Jahren von 2020 bis 2023 sollen nur weitere 73 Kilometer Schienenwege elektrifiziert werden. Das ergibt sich aus einer aktuellen Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler (Grüne) aus Hannover.
Die Quote würde damit Ende 2023 lediglich 62 Prozent betragen. Ohne eine Beschleunigung würde die vollständige Elektrifizierung aller Gleisstrecken in Niedersachsen noch 56,2 Jahre dauern. Keinen Stromanschluss haben unter anderem die DB-Strecken Oldenburg-Osnabrück, Sulingen-Diepholz, Delmenhorst-Hesepe, Bremerhaven-Cuxhaven und Walsrode-Buchholz (Nordheide). Gar nicht berücksichtigt sind die 1092 Netzkilometer der nichtbundeseigenen Eisenbahnen, die allesamt nicht elektrifiziert sind. Dazu gehören die Strecken von Bremervörde nach Osterholz-Scharmbeck, nach Rotenburg und nach Bremerhaven, sowie Delmenhorst-Harpstedt und Verden-Stemmen.
„Das ist ein Armutszeugnis“, kritisierte Kindler im Gespräch mit dem WESER-KURIER den schleppenden Strom-Ausbau im bundeseigenen DB-Netz. „Die Bundesregierung hat sich eine Elektrifizierung von 70 Prozent des Schienennetzes bis 2025 zum Ziel gesetzt. Für Niedersachsen steht schon jetzt fest, dass selbst dieses wenig ambitionierte Ziel verfehlt werden wird.“ Das zeige das mangelnde Interesse von CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer für die Bahn im Allgemeinen und für den Norden im Besonderen, bemängelte der Grünen-Parlamentarier. „Das kommt davon, wenn sich Minister Scheuer nur um die Autolobby und das Mautdesaster kümmert.“
Die genannten 73 Kilometer betreffen im Wesentlichen die Bahnanbindung des Jade-Weser-Ports – nämlich die seit Langem geplante, aber im Zuge des zweigleisigen Ausbaus immer wieder verschobene Elektrifizierung der 52,4 Kilometer auf der Strecke Oldenburg-Wilhelmshaven. Im Sommer 2022 soll es nun nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums endlich so weit sein. Auf 423 Millionen Euro werden die Kosten dafür taxiert. Die Modernisierung des Abschnitts soll nicht nur dem Container-Transport vom und zum Hafen, sondern auch dem Passagierverkehr zugute kommen. So sind ab dem Fahrplanwechsel 2022 durchgehende Regionalexpress-Züge Hannover-Wilhelmshaven und zusätzliche Regio-S-Bahnen von/bis Bremen vorgesehen.
70 Kilometer Strecke bis 2023 ist für Niedersachsen kein schlechter Wert
Bei den restlichen Kilometern handelt es sich nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums in Hannover vor allem um die Strecke von Schortens über Wilhelmshaven nach Ölweiche, die das dortige Industriegebiet mit dem Hafen verbindet. „Eine Elektrifizierung von gut 70 Kilometern Strecke bis 2023 ist für Niedersachsen kein schlechter Wert“, meinte ein Sprecher von Ressortchef Bernd Althusmann (CDU).
Angesichts der weiteren Projekte im Bundesverkehrswegeplan 2030 seien später zusätzliche Elektrifizierungsmaßnahmen für Niedersachsen zu erwarten, so für die Strecken Uelzen-Langwedel, Stade-Cuxhaven und Elze-Hameln. „Darüber hinaus erwarten wir, dass im Rahmen des vom Bund kommunizierten Ausbauprogramms ‚Elektrische Güterbahn‘ weitere Strecken elektrifiziert werden“, hofft das Althusmann-Ressort. Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich trotz Anfrage nicht zu den Gründen für den schleppenden Ausbau.
Grünen-Parlamentarier Kindler forderte dagegen deutlich mehr Tempo bei der Bahn-Elektrifizierung. „Für eine klimaschonende Verkehrswende müssten bis 2025 wenigstens 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert werden, damit die Anzahl der schmutzigen Dieselloks so schnell wie möglich reduziert wird.“ Dafür müsse die Bundesregierung in Niedersachsen in den nächsten Jahren deutlich mehr Geld für die Elektrifizierung investieren. „Die Finanzmittel kann sie beim Neubau von sinnlosen Milliardengräbern wie den Autobahnen A39 oder A20 einsparen“, erklärte der Abgeordnete. „In Zeiten der Klimakrise brauchen wir eine klimafreundliche Bahn und nicht mehr Straßenbauwahnsinn.“
Eine 100-prozentige Strom-Quote sei dabei nicht das Ziel, stellte Kindler klar. „Es ist nicht wirtschaftlich und sinnvoll, noch den allerletzten Kilometer des Schienennetzes zu elektrifizieren.“ Auch Wasserstoff-Züge und andere alternative, klimaneutrale Antriebskonzepte seien Teil der Lösung. Im Netz der Eisenbahn- und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (evb) sind auf den Strecken zwischen Bremervörde, Bremerhaven und Cuxhaven seit gut einem Jahr zwei Wasserstoff-Züge unterwegs. Das Pilotprojekt ist nach Angaben des Unternehmens so erfolgreich, dass es bis 2022 alle 15 Dieseltriebwagen durch die emissionsfreien Wasserstoff-Fahrzeuge ersetzen will.