Es soll ein gigantisches Projekt in der südlichen Nordsee werden. Ein Konsortium um den deutsch-niederländischen Stromtrassenbetreiber Tennet plant ein riesiges Verteilnetz für Windstrom aus den Offshore-Anlagen. Bis zum Jahr 2045 könne man damit 180 Gigawatt des auf See erzeugten Stroms an die Küsten der Anrainerstaaten transportieren, erklärte Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens am Dienstag in Hannover. „Damit könnten wir den kompletten elektrischen Verbrauch in Europa dekarbonisieren“, also frei von klimaschädlichem Kohlendioxid produzieren, meinte der Manager bei der Präsentation erster Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie.
Der Verbund aus Tennet, dem dänischen Strom-Konzern Energinet, dem niederländischen Versorger Gasunie und dem Hafen Rotterdam denkt dabei an eine dezentrale Lösung mit rund einem Dutzend Verteilstationen in der Nordsee. Diese sollen jeweils zehn bis 15 Gigawatt Strom aus Windparks in der näheren Umgebung sammeln und dann weiter an Land transportieren. Derzeit werden in der Nordsee rund 13 Gigawatt Windstrom produziert, davon sieben Gigawatt vor der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Küste. Der angestrebte Ausbau bedeutet bei der gegenwärtigen Leistung der Turbinen zwischen zwölf und 15 Megawatt die Errichtung von rund 15.000 neuen Anlagen.
Ursprünglich hatte das Konsortium „North Sea Wind Power Hub“ an ein einziges Verteilkreuz auf einer großen, künstlich aufgeschütteten Sandinsel im Bereich der Doggerbank vor der englischen Ostküste gedacht. Das aber habe sich als nicht praktikabel erwiesen, so Meyerjürgens. Als Gründungsstrukturen für die kleineren Module kämen Plattformen und Setzkasten-Inseln, für größere Stationen auch Sandinseln in Betracht. Hier könne man gut auf die Expertise des Rotterdamer Hafens zurückgreifen, dessen Erweiterungsstufen Maasvlakte ebenfalls künstlich ins Meer hineingebaut wurden. In einem späteren Schritt ist daran gedacht, direkt auf den Stationen die elektrische Energie in Gas oder Wasserstoff umzuwandeln. Dies könne man dann nicht nur über Leitungen, sondern auch über Tankschiffe an Land transportieren.
Koordinierte Planung der beteiligten Staaten ist notwendig
Damit sich das Ganze aber realisieren lasse, sei eine koordinierte Planung der beteiligten Staaten Deutschland, Niederlande und Dänemark, möglichst auch Großbritannien und Norwegen dringend erforderlich, betonte der Tennet-Chef. „Wir brauchen unbedingt eine Neuausrichtung des Energiesystems der Nordsee-Länder.“ Dabei gehe es auch darum, die regulatorischen Vorschriften zu vereinheitlichen. Ein solches gemeinsames Agieren beschleunige nicht nur den Ausbau, sondern senke auch die Kosten um mindestens 30 Prozent. Um ein Gigawatt Windstrom offshore zu produzieren und an Land zu bringen, wird gegenwärtig mit rund einer Milliarde Euro kalkuliert. Die Gesamtsumme für das Projekt dürfte sich damit unter Berücksichtigung der Einsparquote auf 120 bis 130 Milliarden Euro belaufen.
Jetzt seien die Regierungen gefragt, um die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, mahnte Meyerjürgens. „Wir müssen jetzt in vielen Fragen schnell vorankommen.“ Das Konsortium stehe bereits in Kontakt mit der politischen Ebene in den einzelnen Staaten und der EU. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) begrüßte denn auch die Pläne. „Nur mit einem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien insgesamt – also der Offshore-Windenergie im Verbund mit der Onshore-Windenergie und der Solarenergie – werden wir unseren nationalen Klimaschutzaufgaben gerecht werden können.“
Dies könne nicht in kleinen Schritten gelingen, betonte der Ressortchef. „Wir brauchen endlich einen großen internationalen Ansatz.“ Von den auch für Energie- und Raumordnungsfragen zuständigen niedersächsischen Ministerien Wirtschaft und Landwirtschaft ließ sich bei der Präsentation allerdings niemand offiziell blicken. Vorsorge für mögliche Gas-Pipelines von den Verteilstationen an Land ist in den aktuellen Raumordnungsplänen bislang nicht vorgesehen.
Dennoch setzte der Tennet-Chef auf den Willen zum Kompromiss bei allen Beteiligten. Auch mit Energieversorgern, Fischereiorganisationen und Umweltverbänden tausche man sich intensiv aus. „Überall besteht ein gesellschaftlicher Konsens, dass wir mit dem Klimawandel umgehen müssen“, sagte Meyerjürgens.
Vier potenzielle Korridore, die die verschiedenen Bedingungen in der Nordsee abbilden, hat das Konsortium bereits näher betrachtet. Je zwei liegen in der niederländischen und in der dänischen Außenwirtschaftszone. Noch aber hat der Verbund keine endgültige Standortentscheidung getroffen. „Das ist noch offen“, erklärte Meyerjürgens. Auch ein Standort vor der niedersächsischen Küste sei denkbar. Gleichzeitig versprach er, das Weltnaturerbe Wattenmeer unberührt zu lassen. „Das ist für uns ein No-Go.“