Nach fünf Jahren scheidet Joachim Gauck aus dem höchsten Amt des Staates. Denn seine Amtszeit geht am Wochenende zu Ende. Ab Sonntag übernimmt der Politiker Frank-Walter Steinmeier den Job.
Einmal geht es noch los, raus ins Land, wie so viele Male zuvor in den letzten fünf Jahren. Am Mittwochmorgen hält die kleine Wagenkolonne vor der Dienstvilla in Dahlem. Joachim Gauck und Daniela Schadt steigen ein, und die Reise beginnt. Sie führt nach Mecklenburg-Vorpommern, wo Gauck ein dicht gedrängtes Programm erwartet.
Fast im Stundentakt geht es von der Begrüßung, einem Stadtrundgang und einem Firmenbesuch in Wismar nach Greifswald, zu Gesprächen in einem Bildungszentrum und mit Forschern auf der Insel Riems, von dort nach Stralsund, wo ein Bürgerempfang im Rathaus den Abschluss bildet. Am späten Abend wird das Präsidentenpaar wieder in Berlin erwartet. Es war dann ein normaler Arbeitstag für Joachim Gauck und doch ein ganz besonderer.
Es war seine letzte kleine Dienstreise als Bundespräsident. Am Sonntag übergeben er und seine Lebensgefährtin das Amt und das Schloss Bellevue an ihre Nachfolger, Frank-Walter Steinmeier und dessen Frau Elke Büdenbender.
Diese letzte Reise hat etwas Symbolhaftes. Sie zeigt etwas von dem Amtsverständnis Gaucks, der bis zur letzten Minute seiner Dienstzeit seinen Pflichten emsig nachkommt. Dieser Besuch in Mecklenburg-Vorpommern war lange für den Februar geplant, doch dann musste Gauck ihn absagen, weil er an einer schweren Erkältung litt.
So hat sein Stab ihn auf einen Tag verkürzt und in Gaucks letzte Amtswoche gepresst, das war ihm noch wichtig. Weil er weiß, wie sehr die Menschen sich auf solch ein Treffen freuen, wie sehr sie es als Wertschätzung ihrer Arbeit verstehen. Und schließlich ist es auch so etwas wie ein Heimatbesuch.
Gauck stammt aus Mecklenburg, und dort wird er künftig wieder viel mehr Zeit verbringen, in Wustrow auf der Halbinsel Fischland, wo sein Elternhaus steht und eine Holzjolle auf ihren Besitzer wartet, der mit ihr zu kleinen Segeltörns auf dem Saaler Bodden in See sticht.
"Nach mir wird jemand kommen, der dieses Amt gut ausfüllt“
So passt es, dass gerade hier eine fünfjährige Amtszeit zu Ende geht, die den Mann aus Mecklenburg weit hinaus in die Welt geführt hat, der aber immer wieder hierher zurückgekehrt ist, um ein wenig Ruhe zu finden.
Der Abschied von diesem Bundespräsidenten hat sich ganz schön lange hingezogen. Das lag auch daran, dass Gauck im vergangenen Jahr noch einmal ins Grübeln gekommen war, ob er nicht doch eine zweite Amtszeit antreten sollte. Es waren besonders aufwühlende Monate Anfang 2016. Die Flucht der Hunderttausenden nach Deutschland verunsicherte viele Menschen.
Überforderte Behörden und Kommunen, aufgebrachte Bürger, Angriffe auf Flüchtlingsheime, großer Zulauf für die Rechtspopulisten, Fragen und Zweifel über den richtigen Kurs überall, da war das Bedürfnis nach einem verlässlichen Mann an der Staatsspitze besonders groß. Nach einem wie Joachim Gauck, der die Sorgen der Bürger aufnehmen und formulieren, der aber auch Mut und Orientierung vermitteln konnte, ein Stabilitätsanker eines in stürmische Winde geratenen Staatsschiffes.
Ihn erreichten viele Briefe von Bürgern, die ihn zum Weitermachen aufforderten, und auch aus der Politik war der Wunsch nach einer zweiten Amtszeit deutlich zu vernehmen. Auch, weil die Regierungspolitiker um Angela Merkel gerade genügend um die Ohren hatten und sich die Suche nach einem neuen Präsidenten gern erspart hätten.
Gauck geriet ins Zweifeln, es gab Monate öffentlicher Spekulationen, bis er dann im Juni 2016 seinen Entschluss öffentlich machte: Am 18. März 2017 ist Schluss. Er könne im Alter von dann 77 Jahren nicht noch einmal für fünf Jahre so viel Vitalität und Energie garantieren, wie sie erforderlich seien, so lautete seine Begründung. Und: Ein Wechsel im Amt des Präsidenten sei kein Grund zur Sorge, sondern demokratische Normalität, auch in schwierigen Zeiten. So strahlte gerade seine Rückzugserklärung ein Signal der Stabilität aus.
Keine lahme Ente
Und so erlebt Deutschland zum ersten Mal seit dem Übergang von Johannes Rau zu Horst Köhler 2004 einen ganz normalen Amtswechsel im Präsidentenamt, mit seinen wohldurchdachten Phasen und Fristen. Die Stärke der Präsidentschaft Gaucks zeigte sich auch darin, dass er mit der Ankündigung seines Abtretens nicht zu einer lahmen Ente wurde, an deren Handeln niemand mehr großes Interesse zeigt.
Der Bundespräsident war auch im letzten halben Jahr so gefragt und so präsent in der Öffentlichkeit wie zuvor. Zumal man lange noch nicht wusste, wer eigentlich sein Nachfolger werden würde.
Mit der vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel mit einiger Chuzpe durchgesetzten Nominierung Frank-Walter Steinmeiers durch die Parteien der Großen Koalition fühlt Gauck sich dann aber in seiner Zuversicht bestätigt: „Nach mir wird jemand kommen, der dieses Amt gut ausfüllt.“ Die beiden Männer haben sich in den vergangenen Wochen einige Male zum Gedankenaustausch getroffen.
Es gehört zu den klugen Regeln der Bundesrepublik, dass ein neues Staatsoberhaupt nach der Wahl durch die Bundesversammlung in der Regel einige Wochen Zeit hat, um „abzukühlen“, etwas Distanz zu seiner vorherigen Arbeit zu bekommen und sich auf das neue Amt vorzubereiten. Das funktioniert freilich nur, wenn der Vorgänger das Amt nicht plötzlich aufgibt, wie es Horst Köhler und Christian Wulff getan haben.
Anders als beispielsweise einst Richard von Weizsäcker hat Gauck die Suche nach seinem Nachfolger nie kommentiert. Das gehöre sich nicht, fand er. Dabei wird er sich so seine Gedanken gemacht haben über Vorschläge wie Marianne Birthler oder Navid Kermani. Und er wird vielleicht gestaunt haben, als jüngst der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, öffentlich bedauerte, dass Deutschland für einen Präsidenten Kermani noch nicht reif sei.
Seit der Nominierung Steinmeiers hat Joachim Gauck sich ein wenig zurückgenommen. Er wollte nicht mehr so lautstark eine Bühne bespielen, für die der Nachfolger schon bestimmt war. Und doch hat er auch in den vergangenen Monaten noch Akzente gesetzt, vor allem mit seiner letzten Grundsatzrede im Januar im Schloss Bellevue.
Er zeigte sich da als ein Mann, der seine Zuversicht nicht verloren hat, die aber doch überschattet wird von den Entwicklungen der letzten Zeit. „Nach fast fünf Jahren bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen“, sagte er da. Die liberale Demokratie mit ihren Werten stehe unter Beschuss. Aber er wäre nicht Joachim Gauck, wenn er nicht auch feststellte: „Mögen Ängste uns auch begleiten: Wir lassen uns das Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen zu unserer Demokratie nicht nehmen. Wir bleiben gelassenen Mutes.“
"Wir lassen uns das Vertrauen zu uns selbst nicht nehmen“
Wer Joachim Gauck in diesen Tagen begegnet, trifft auf einen Mann, der sehr mit sich im Reinen ist. Hier und da blitzt einmal ein wenig Wehmut auf, wenn ihm bewusst wird, dass er etwas zum letzten Mal als Präsident tut. Die letzte Ordensverleihung zum Beispiel. Es ist eine Zeremonie zum 8. März, dem Internationalen Frauentag. Traditionell zeichnet der Präsident an diesem Tag Frauen aus, die sich auf verschiedenste Weise um die Gesellschaft verdient gemacht haben.
Die Ehrung engagierter Bürgerinnen und Bürger gehöre zu den erfreulichsten Aufgaben eines Bundespräsidenten, stellt er fest. Aber er nutzt die Gelegenheit auch noch einmal für ein bemerkenswertes politisches Bekenntnis. Er erinnert an den „Womens March on Washington“, die große Demonstration der Frauen am Tag nach der Amtseinführung Donald Trumps, die zugleich eine machtvolle Kundgebung gegen die Haltung des neuen US-Präsidenten war.
Dort sei die Zivilgesellschaft „für etwas aufgestanden, das wir Würde nennen, für Menschlichkeit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, kurz, für all das, was die Voraussetzung für Gleichberechtigung ist“ – und wofür dieser US-Präsident eben nicht steht, konnte man in Gedanken ergänzen. Wäre Gauck nicht schon ein scheidender Präsident, auf dessen Worte eben doch nicht mehr so sehr geachtet wird, hätte diese noch wesentlich ausführlicher vorgetragene Betrachtung zur Lage im Lande des großen Verbündeten gewiss einige Aufmerksamkeit erregt.
So aber fällt noch einmal Gaucks ganz besondere Gabe der Empathie auf. Zu den Ausgezeichneten gehört die wegen ihres Engagements für verfolgte Frauen vielfach angegriffene deutsch-türkische Schauspielerin Sibel Kekilli. Sie bricht, überwältigt von dem Moment, in Tränen aus, als er ihr das Bundesverdienstkreuz überreicht. Die innige Geste, mit der Gauck sie tröstet, zeigt auch viel von seinem Wesen.
Die Reise nach Mecklenburg-Vorpommern, davor ein letzter Besuch an seinem zweiten Amtssitz in Bonn – das sind die Stationen, mit denen Joachim Gauck seine Zeit im höchsten Amt des Staates abrundet. In Bonn sitzt er noch einmal auf der Terrasse der Villa Hammerschmidt, von der man so einen prachtvollen Blick auf den Rhein und das Siebengebirge hat.
Man hört hier leise das Stampfen der Dieselmotoren der Rheinschiffe, die so lange den Rhythmus der Bonner Republik begleitet haben. Das sind Momente, in denen Gauck noch einmal ganz intensiv das Glück empfindet, das ihn, den Pfarrer aus Rostock in der DDR, an die Spitze eines vereinigten Deutschlands gebracht hat.
Am Freitagabend folgt die letzte Etappe des Abschieds, mit dem feierlichen Großen Zapfenstreich der Bundeswehr im Park von Schloss Bellevue. Es ist aufgefallen, wie der eigentlich doch so zivil geprägte Joachim Gauck im Laufe der Zeit immer mehr Gefallen an militärischem Zeremoniell gefunden hat. Manchmal marschierte er bei Staatsbesuchen an den Soldaten der zur Begrüßung aufgezogenen Ehrenformation zackiger entlang als der begleitende Offizier. So wird er das ein wenig sinistre Schauspiel im dunklen Park am Freitag genießen.
Der Tradition folgend, konnte er drei Lieder zum Abschied vom Musikcorps der Bundeswehr aussuchen. Sie sind programmatisch: Das aus den Befreiungskriegen stammende Volkslied „Freiheit, die ich meine“, der protestantische Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ und die Rockhymne der ostdeutschen Band Karat „Über sieben Brücken musst du gehen“.
Am Sonntag um null Uhr endet dann die Amtszeit für Joachim Gauck wirklich. Er weiß schon genau, was er am Montag tun wird: das Fahrrad nehmen und einfach mal ein wenig losradeln, hinein in die neue Freiheit.