"Das Volk will den Sturz des Regimes“ hallte es 2011 auf den Straßen überall im Nahen und Mittleren Osten - in Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, Jemen. Bewohner arabischer Autokratien verlangten Freiheit, Würde, Menschenrechte. Die Demonstrationen der Massen wurden als „Arabischer Frühling“ bekannt.
In Ägypten wurde zwar Langzeitherrscher Husni Mubarak nach nur drei Wochen gestürzt, aber ein Regimewechsel fand nicht statt, im Gegenteil. Jetzt hat das Nilland einen noch schlimmeren Diktator als vorher. In Libyen und dem Jemen sind die damaligen Machthaber ermordet worden, aber das Volk findet keine Ruhe. Beide Länder sind in zwei Hälften getrennt. In Tunesien, bislang das hoffnungsvollste Land, entpuppt sich der jetzige Präsident immer mehr als Autokrat.
Und nun Syrien. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg floh Diktator Bashar al-Assad nach Moskau, mit viel Blut an den Händen. Das Volk hat den Sturz des Gewaltherrschers bewirkt, aber schafft es auch einen Regimewechsel? Erst dann kann man von einer gelungenen Revolution sprechen. Eines aber ist jetzt schon klar: Der Arabische Frühling hat in Syrien am längsten gedauert.
Der Zeitpunkt zum letzten Akt für den Sturz Assads war bewusst gewählt. Am ersten Tag des Waffenstillstands im Libanon schlug die Rebellenallianz unter der Führung von Hayat Tahrir Al Shams (HTS) zu. Von Idlib kommend, wo sie die letzten Jahre in der einzig noch verbliebenen Aufständischen-Hochburg verbrachten, ein staatliches Gebilde schufen und das zivile Leben organisierten, eroberten sie nun das ganze Land – zurück, wie sie sagen. Denn Syrien gehöre dem Volk, auch wenn Assads Clan das Land als sein Eigentum betrachtete, fast ein halbes Jahrhundert lang.
Doch das Volk allein konnte es nicht schaffen, den Diktator zu stürzen. Die Türkei und Katar halfen mit und irgendwie auch Israel, dessen Armee über Monate hinweg Hisbollah-Stellungen in Syrien bombardierte, Versorgungswege für Waffen und Kriegsgerät zerstörte.
Am Kampf um die Stadt Hama wurde deutlich, wie geschwächt die Schiitenmiliz aus dem Libanon eigentlich war, die im Namen Teherans den Verbleib Assads im Amt ermöglichen sollte. Nach nur 48 Stunden und nahezu kampflos übernahmen die Rebellen Hama. Der Weg nach Damaskus war frei. Ob der Dienst für die Rebellen auch einen Gefallen für Israel selbst darstellt, werden die nächsten Monate zeigen.
Interessant ist, dass bei der Entscheidung zur Entmachtung Assads die westlichen Länder überhaupt keine Rolle spielten. Auch Russland wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und durfte lediglich den Assads Asyl gewähren. So wurde die Causa Syrien zum Regionalfall. Die arabischen Länder stimmten zu, die Türkei und Katar wollten jetzt eine Lösung. Denn die Situation in Syrien wurde immer unerträglicher. Assad war weder für die Kataris, noch für die Türken ansprechbar. Er bewegte sich nicht, so war in Doha zu hören. Es musste etwas geschehen.
Bei aller Kritik, die man sonst am türkischen Präsidenten Erdogan äußern kann, hier hat er gehandelt, konsequent und schnell. Ihn deshalb als Sieger zu bezeichnen, greift aber zu kurz. Denn um die Verantwortung für die Zukunft Syriens dürfte ihn wohl niemand beneiden. Syrien ist ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Interessen und Gemengelagen. Wie sich die Zukunft des Landes gestalten wird, ist höchst ungewiss. Im Moment ist alles offen.
Nur der Westen sollte seine Finger von Syrien lassen. Die diversen roten Linien, die der damalige US-Präsident Obama für Diktator Assad gezogen hat, als dieser tödliche Chemiewaffen gegen sein Volk einsetzte, wurden nie eingehalten. Als Tausende von Syrern einen qualvollen Tod starben, herrschte in Washington Stillschweigen. Auch die EU ließ es mit Lippenbekenntnissen für die Einhaltung der Menschenrechte bewenden. Alle nachfolgenden US-Regierungen ließen eine klare Haltung gegen Assad vermissen. Moral predigen und nicht dafür einstehen: Die Syrerinnen und Syrer, die im Land geblieben sind, haben das nicht vergessen.