Drei Monate nach ihrer vernichtenden Niederlage leckten die konservativen Tories auf ihrem Parteitag noch immer ihre Wunden. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie es mit der Partei weitergehen soll. Laut einer Yougov-Umfrage haben sieben von zehn Briten eine negative Meinung von den Konservativen. Nach den Skandalen um Partys während der pandemiebedingten Ausgangssperren, Amtsmissbrauch, Filz und Korruption und vor allem, weil nach 14 Jahren unter den Tories nichts mehr zu funktionieren scheint, ist nach wie vor die Mehrheit der Briten überzeugt: Die Partei dachte vor allem an sich selbst und tut es noch. Bis zur Wahl eines Nachfolgers durch die Parteimitglieder Ende Oktober bleibt der frühere Premierminister Rishi Sunak Parteichef.
Vier Kandidaten bewerben sich um das Amt. Auf dem Parteitag in Birmingham versuchten sie, Parlamentarier sowie die Basis von sich zu überzeugen. Dabei hat der frühere Innen- und Außenminister James Cleverly seine Chancen im Rennen um den Vorsitz gestärkt. Sein Appell an die Partei, „normaler“ zu sein, kam bei den Delegierten gut an. Er gilt als moderater Kandidat und fordert Einigkeit innerhalb der Partei, spricht sich aber auch für eine Wiederbelebung des umstrittenen Ruanda-Programms aus. Demnach sollen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Großbritannien in das ostafrikanische Land geflogen werden, um dort zu bleiben oder in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden.
Favorit bleibt derzeit jedoch der ehemalige Migrationsminister Robert Jenrick. Er will mit einer Obergrenze für Zuwanderung den weiteren Aufstieg der rechtspopulistischen Partei Reform UK stoppen. Zudem plädiert er für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Tory-Forderung, die dem Ruf des Landes innerhalb der EU massiv geschadet hat.
Beliebt bei der Basis ist die ehemalige Handelsministerin Kemi Badenoch. Sie punktet ebenfalls mit ihrer harten Linie in der Einwanderungspolitik, die sie jedoch mit einem starken Fokus auf die Wirtschaft kombiniert, indem sie etwa für niedrige Steuern eintritt. Damit erfüllt sie insbesondere die Erwartungen der älteren und wohlhabenderen Parteimitglieder. Die geringsten Chancen auf einen Sieg hat derzeit Schatten-Sicherheitsminister Tom Tugendhat, der mit Cleverly um die Position des Kandidaten der Mitte kämpft.
Wer auch immer das Rennen macht – es gibt wenig Hoffnung, dass einer von ihnen die Partei erneuern kann. Nicht zuletzt deshalb, weil sie alle in mindestens einer der Vorgängerregierungen gedient haben.
Zwar sind viele Wähler über die steigenden Einwanderungszahlen besorgt und wünschen sich wirksame Maßnahmen. Doch es fehlen die Themen, die den Tories den Sieg gekostet haben: die Skandale der vergangenen Jahre in den eigenen Reihen, die stotternde Wirtschaft, die Probleme in den Schulen und das marode Gesundheitssystem NHS. Statt in diesen Punkten konstruktive Vorschläge zu machen, konzentrieren sich die Konservativen vor allem auf Steuersenkungen und Deregulierung der Wirtschaft als Lösung. Auf die Frage, wie sie notwendige Investitionen finanzieren wollen, flüchten sich die Kandidaten in Allgemeinplätze, sprechen von weniger Beamten oder „Effizienzgewinnen“.
Es sind Glaubenssätze, die auch schon die frühere Premierministerin Liz Truss vor sich hertrug, bevor sie im Herbst 2022 mit ihren geplanten Steuererleichterungen in Großbritannien ein Finanzchaos auslöste. Mit anderen Worten: Weder personell noch ideell sieht es bisher nach einem Neuanfang aus. Die Tories haben in den vergangenen 14 Jahren keine gemeinsame Strategie gefunden, um die großen gesellschaftlichen Probleme anzugehen.
Auch die innere Zerrissenheit der Partei nach dem Brexit, die eine gute Politik verhindert hat, ist noch lange nicht überwunden. Aber wenn die Partei in fünf Jahren wieder an die Macht kommen und Labour in der Regierung ablösen will, muss sie genau das tun. Bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.