Der Auftritt vor seinen Anhängern in Washington fühlte sich wie eine Zeitreise in das Jahr 2016 an. Heute wie damals wetterte Donald Trump gegen die „Fake News“-Medien, die „verrückte“ Nancy Pelosi, die „außer Kontrolle“ geratenen Grenzen zu Mexiko und die „Hexenjagd“ auf ihn, das Opfer gesichtsloser Bürokraten und linker Eliten. Wie bei seiner Rede zum Amtsantritt entwarf er das düstere Bild einer Nation im Untergang. „Wir müssen es vielleicht einfach noch einmal machen“, brachte der Ex-Präsident eine erneute Kandidatur 2024 ins Spiel.
Seit dem in acht Anhörungen im Kongress öffentlich ausgebreiteten Putschversuch fehlt dem mutmaßlichen Drahtzieher des 6. Januar 2021 in den Augen vieler Amerikaner jedoch die Glaubwürdigkeit, über den Verlust von Recht und Ordnung zu klagen. Trump schaute 187 Minuten lang tatenlos zu, wie mehr als 140 Polizisten von seinen Anhängern zum Teil schwer verletzt wurden.
Zwei Tatbestände
Während der Ex-Präsident seine Wahlkampfschlager der Vergangenheit entstaubte, berichtete die „Washington Post“ über die Realität, mit der es Trump zu tun hat. Demnach interessiert sich das Justizministerium für die Rolle, die der Ex-Präsident bei dem Versuch gespielt hat, den friedlichen Übergang der Macht an Wahlsieger Joe Biden zu stoppen. Wie das Blatt berichtet, ermittelt das Justizministerium sehr viel intensiver als bisher bekannt. Demnach verfolgen die Staatsanwälte zwei Tatbestände. Zum einen geht es um „Verschwörung zum Aufruhr“. Zum anderen untersucht das Justizministerium einen Plan, mit falschen Betrugsvorwürfen und gefälschten Wahlleutelisten den friedlichen Machtwechsel zu verhindern.
Landesweit würden Beweise gesammelt und Personen zu Verhören vorgeladen, die für Trump tätig gewesen seien. Darunter einige, die dem Präsidenten am Dienstag in Washington zugejubelt hatten. Die Bundesanwälte hätten in den vergangenen Tagen den Büroleiter des ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence und dessen Justiziar vernommen. Mark Short und Greg Jacob hatten zwei Tage vor dem Putschversuch an einem Treffen im Oval Office teilgenommen, bei dem Trump vergeblich versucht hatte, Pence unter Druck zu setzen, den Wahlsieg Bidens nicht zu zertifizieren.
Die "New York Times" berichtete am selben Tag über geleakte E-Mails externer Trump-Berater, die darin im Detail den Plan diskutierten, in Bundesstaaten mit knappen Wahlergebnissen Listen mit Fake-Wahlleuten aufzustellen und diese am 6. Januar vorzulegen. Dies würde Pence einen Vorwand liefern, die Zertifizierung zu verweigern. Eine Schlüsselrolle spielten der Staatsrechtler John Eastman, Trumps Hausanwalt Rudy Giuliani, Jeffrey Clark, der im Justizministerium Trumps eine Leitungsaufgabe hatte, und Boris Epshteyn, ein Wahlkampfstratege. Das Justizministerium beschlagnahmte die Smartphones und andere elektronische Geräte von Eastman und Clark.
Die jetzt bekannt gewordenen Ermittlungen der Justizbehörde sind unabhängig von denen der Untersuchungskommission im Repräsentantenhaus. Während der Kongress nur eine Empfehlung aussprechen kann, hat der Justizminister die Möglichkeit, Anklage zu erheben. Sollte sich Merrick Garland dazu entschließen, gegen Trump strafrechtlich vorzugehen, wäre dies ein einmaliger Vorgang in der amerikanischen Geschichte.
In einem Interview mit NBC trat Garland dem Vorwurf entgegen, nicht aggressiv genug gegen den mutmaßlichen Drahtzieher und Anführer der Ereignisse vom 6. Januar 2021 vorzugehen. „Wir bewegen uns mit Dringlichkeit, um alles über diese Periode zu lernen, und wir ziehen jeden rechtlich zur Verantwortung, der versucht hat, sich in den friedlichen Übergang der Macht kriminell einzumischen“. Sein Ministerium werde vor keiner Person haltmachen.