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Selenskyj in Brüssel EU solidarisch mit der Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war am Donnerstag zu Gast in Brüssel. Bevor er beim Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs teilnahm, hielt er eine bewegende Rede im Parlament.
09.02.2023, 19:19 Uhr
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EU solidarisch mit der Ukraine
Von Katrin Pribyl

Es war ein Moment, wie ihn das Europäische Parlament lange nicht erlebt hat. Als Wolodymyr Selenskyj in den Plenarsaal tritt, bricht tosender Applaus unter den EU-Abgeordneten aus. Ovationen, Jubel. Einige halten „Wir-stehen-an-der-Seite-der-Ukraine“-Schilder in die Höhe, andere rufen „Bravo“ wie nach einer Opernaufführung. Der ukrainische Präsident im Herzen der Gemeinschaft, das lud geradezu zu Pathos ein.

Man erlebe „einen außergewöhnlichen Moment in einer außergewöhnlichen Zeit“, sagte denn auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola – und an den Gast gewandt: „Die Zukunft Ihrer Nation liegt in der Europäischen Union.“ Selenskyj nickte. Der Beitritt zur Gemeinschaft ist der große Wunsch der Ukrainer, den der 45-Jährige in seiner anschließenden Rede nochmals unterstrich: Es wäre „ein Weg, um nach Hause zurückzukehren“. Man teile „eine gemeinsame Geschichte und Kultur“. Und Mitglied in der EU zu werden, sei „eine Vision, die uns ermutigt hat, stark zu bleiben“, sagte der Präsident, der in schwarzem Pullover und olivgrüner Hose so erschöpft wie emotional wirkte. „Nur unser unweigerlicher Sieg wird die gemeinsamen europäischen Werte wahren.“

Die Ansprache war bewegend, teils flammender Appell, teils Dankesreigen, der den ganzen Tag andauern sollte. Und der auch die europäischen Bürger im Kampf gegen Russland einschloss: „Dieser Beifall“, sagte Selenskyj mit Blick auf die Abgeordneten im Plenarsaal, „richtet sich nicht an mich, sondern an alle in den Städten und Dörfern, die die Ukraine in dieser historischen Schlacht unterstützen“. Das Wort „Djakuju“ war auch gegenüber den Mitgliedsstaaten oft zu hören, deren 27 Vertreter er kurz nach seinem Auftritt im Hohen Abgeordnetenhaus traf. „Ich danke Ihnen, Freunde“, sagte er – für die militärische und finanzielle Hilfe, für die Aufnahme von Millionen ukrainischer Flüchtlinge, für die Solidarität.

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Punkt zwölf Uhr war er im Ratsgebäude nur wenige Fahrminuten vom Parlament entfernt angekommen. Dort hatten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bereits versammelt. Eigentlich war ihr Treffen als Sondergipfel zum Thema Migration und Wirtschaft geplant, doch der hohe Besuch aus dem kriegsgebeutelten Land zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Protokollabteilung stand vor massiven logistischen und sicherheitstechnischen Anforderungen.

Politisch ging es während der Visite vor allem um warme Worte und viel Symbolik. Man wolle „ein Zeichen der Solidarität und Einigkeit“ setzen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das sandten die Staatenlenker nicht nur nach Kiew, sondern auch in Richtung Wladimir Putin nach Moskau. Hier präsentierte sich die Gemeinschaft Seite an Seite mit dem Angegriffenen.

Ob der ukrainische Präsident am Donnerstagnachmittag aber zufrieden zurück ins Kriegsgebiet reiste, bezweifelten Beobachter. Zumindest öffentlich gaben die Mitgliedsstaaten dem Druck aus Kiew nicht nach. Neben neuen Sanktionen gegen Russland forderte Selenskyj etwa, dass die EU-Beitrittsgespräche noch in diesem Jahr beginnen sollten. Die Europäer halten sich aber weiter mit konkreten Versprechen oder Zeitplänen in Sachen Verhandlungen zurück. Diplomaten sprechen von einem weiten Weg. Einige Mitgliedstaaten pochen darauf, dass die Aufnahme nach dem strengen Regelwerk erfolge. Die Ukraine müsse zuvor eine Reihe von Bedingungen erfüllen, besonders bei der Bekämpfung von Korruption.

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Bei der Bitte um moderne Jets sah Selenskyj dagegen Fortschritte. Sein Besuch in London habe die Entscheidungen über die Lieferung weitreichender Waffen und die Ausbildung von Piloten näher gebracht, sagte er bei einer Pressekonferenz am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Das sei „wirklich ein gewisser Schritt zur Lieferung von Kampfflugzeugen“. Er war am Mittwoch nach einem Überraschungsbesuch in Großbritannien kurz vor 22 Uhr in Paris gelandet. Beim Abendessen im Élysée-Palast mit Olaf Scholz und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron hatte der ukrainische Präsident angesichts der befürchteten Frühjahrsoffensive Russlands Unterstützung durch die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert.

Am Ende blieben Fragezeichen, beispielsweise warum Selenskyj für seine Europatour – die zweitägige Auslandsreise war erst die zweite seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar vergangenen Jahres – ausgerechnet den jetzigen Zeitpunkt gewählt hatte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel waren erst vergangene Woche in Kiew gewesen und hatten da alles angekündigt, was anzukündigen war: mehr Geld, mehr Generatoren, mehr Glühbirnen. Zyniker erklärten die Visite mit dem „lächerlichen Konkurrenzkampf“, wie ein Diplomat es nannte, zwischen von der Leyen und Michel, der als Vertreter der 27 Mitgliedstaaten Selenskyj nach Brüssel eingeladen hatte. Die Deutsche pflegt ein gutes und enges Verhältnis zu Selenskyj. Michel, so heißt es, habe damit seine Probleme – und dürfte deshalb auch an die Bilder gedacht haben, die um die Welt gehen würden vom ukrainischen Präsidenten an der Seite des Gastgebers. In Brüssel rollen sie hinter den Kulissen mittlerweile genervt die Augen über „das Theater um Michels Ego“.

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