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Kurs gegenüber der Ukraine EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erntet viel Lob

Wie hat der Krieg in der Ukraine die EU verändert? Viele Änderungen wurden von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angestoßen. Sie hat die entschiedene Reaktion auf Russlands Krieg organisiert.
06.02.2023, 18:27 Uhr
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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erntet viel Lob
Von Katrin Pribyl

Das Wörtchen „historisch“ mag als Modewort der Politik abgedroschen sein, doch ausnahmsweise traf es in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder die Lage, was die EU und den Ukraine-Krieg angeht. Erstmals in ihrer Geschichte finanzierte Brüssel den Kauf und die Lieferung von Waffen. Erstmals in ihrer Geschichte auch verhängte die Gemeinschaft beispiellose Sanktionen gegen Kreml-nahe Oligarchen und Organisationen. Ob Kohle oder Kaviar, Eisen und Edelmetalle, Stahlerzeugnisse oder Silber, Make-up, Möbel oder Maschinen – die Strafmaßnahmen zielen von Privatvermögen der Oligarchen über Luxusgüter bis zu Schlüsselbranchen ab. Einen Tag vor dem Einmarsch der Russen am 24. Februar 2022 beschlossen die 27 Mitgliedstaaten das erste Paket, innerhalb von fünf Tagen folgten zwei weitere.

Es war eine Leistung, die kaum jemand erwartet hatte. Und die auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu verdanken war. Die Deutsche, die ihren Job unter anderem mit dem Versprechen an die Osteuropäer angetreten hatte, dass sie ihren Kreml-kritischen Kurs beibehalten werde, war vorbereitet. Sie hatte die komplizierte Sanktionsarchitektur schon Wochen zuvor planen lassen, hegte engen Kontakt mit US-Präsident Joe Biden und nahm seine Sorgen und die Warnungen der Geheimdienste ernst, während man in einigen europäischen Hauptstädten noch die „Panikmache“ aus Washington belächelte.

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In schwarzen Turnschuhen und beigem Mantel eilte sie vergangene Woche beim Besuch in Kiew von Termin zu Termin – ein Balanceakt. Ukraines Ministerpräsident Denys Schmyhal wollte feste Zeitpläne bezüglich des Beitritts hören, von der Leyen vermied es, sich auf Jahreszahlen festzulegen. Lieber will sie den Wiederaufbau planen, auch wenn niemand weiß, was am Ende wieder aufgebaut werden muss.

Im Europäischen Parlament, wo Schimpftiraden auf die Kommission zum guten Ton gehören und die Kritik am unnahbaren Führungsstil der Deutschen auch nach der Pandemie nicht verstummte, vernimmt man dieser Tage viel Lob – und das von Abgeordneten fast jeder Couleur. Von der Leyen habe sich als „ausgezeichnete Krisenmanagerin“ bewiesen, sagt eine grüne Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand. Sie habe endgültig ihre Rolle gefunden und vor allem wieder die europäischen Grundwerte in den Fokus der Öffentlichkeit gehoben, meint der Liberale Moritz Körner. Frieden und Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit.

So geschlossen wie nie wollte der Westen auf Wladimir Putins Bomben reagieren. Und tatsächlich: Der Zusammenhalt sollte für viele Monate das schärfste Schwert gegen den Kreml werden. „Die Welt kann sehen, dass Einheit unsere Stärke ist“, so von der Leyen. Selbst Manfred Weber (CSU), einerseits ihr Kollege in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), andererseits demontierter Verlierer gegen sie im Rennen 2019 um den Chefposten in Brüssel, lobte gegenüber dieser Zeitung die „wichtige koordinierende Rolle“ von der Leyens, die sie gut ausgefüllt habe. „Ihr ist es gelungen, die 27 EU-Staaten bei den Sanktionspaketen und der Reaktion der EU zusammenzuhalten“, sagt der EVP-Fraktions- und Parteivorsitzende. So sei die Gemeinschaft weit handlungsfähiger gewesen, „als das viele erwartet hatten, unter anderem wohl auch Putin“.

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Importverbot von russischer Kohle, Embargo gegen Rohöl von russischen Tankern – zwar bröckelte die Einheit im Club der 27 immer wieder, am Ende rauften sich die Mitglieder aber irgendwie zu Kompromissen zusammen. Wer konnte sich vorstellen, dass die Europäer russische Banken aus dem Swift-System werfen oder das Guthaben der russischen Zentralbank einfrieren könnten? Wer hätte der Union zugetraut, so schnell und unkompliziert mehr als vier Millionen ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen? Dann folgte auch noch die Aufnahme eines Kriegslandes in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten – in Rekordgeschwindigkeit, kein Wort, das für gewöhnlich mit der EU in Verbindung gebracht wird.

An der Fassade des Kongresszentrums in Kiew stand beim EU-Ukraine-Gipfel groß „Ukraine – der Schutzschild Europas“ geschrieben, darunter eine Landkarte, auf der das kriegsgebeutelte Land als Pufferzone für die Raketen aus Moskau dargestellt ist. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Co. machen Druck, ob bei Waffenlieferungen, finanzieller Unterstützung oder eben EU-Beitritt. Sie haben in von der Leyen eine mächtige Verbündete. Die ist zutiefst beeindruckt vom Mut, vom Durchhaltevermögen, vom Willen der Ukrainer, und versteht sich auch als Brückenbauerin zwischen den Mitgliedsstaaten und Kiew. Zu Hause muss sie auf der einen Seite die Befürworter eines schnellen Aufnahmeverfahrens und auf der anderen Seite die Skeptiker befriedigen. Wo sie steht, macht sie immer wieder klar. „Wir können niemals das Opfer ausgleichen, das die Ukrainer bringen.“

Von der Leyen ist früh vorgeprescht bei der Unterstützung des Antrags aus Kiew auf eine EU-Mitgliedschaft. Nicht allen gefiel das in den Hauptstädten Europas. Aber sie meint es ernst. „Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben. Wir wollen, dass sie mit uns den europäischen Traum leben“, sagte sie einmal. Von der Leyens Liebe zum Pathos passt besser in Kriegs- als in Friedenszeiten. Aber vor allem tröstet sie mit solchen Worten das offene und tief verwundete Herz der Ukrainer.

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„Russlands Aggression hat unsere Einheit gestärkt und die Sicherheitsfragen ganz oben auf unsere Tagesordnung gesetzt“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni – der auch zu von der Leyens Delegation in Kiew gehörte – gegenüber dieser Zeitung. Das sei bis vor ein paar Monaten nicht der Fall gewesen. „Ich erinnere mich noch gut an unsere Reaktion nach der Annexion der Krim.“ Die sei „nicht so stark und geeint“ ausgefallen. Doch die Invasion hat die Europäer nicht nur mehr zusammengeschweißt oder die Stimmen der Zentral- und Osteuropäer in der EU mächtiger werden lassen.

Tatsächlich rüttelt der Krieg am Strukturellen. Plötzlich wird klar, was von der Leyen bei Amtsbeginn meinte, als sie eine „geopolitische Kommission“ beschwor. Eine Idee nach der anderen stellt die Behörde vor, mit der man Abhängigkeiten, etwa von China, loswerden will, egal ob es um neue Chip-Fabriken, Rohstoffe oder die Trendwende in der Energiepolitik geht. Und auch die gemeinsame EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik will die Kommission angehen. Neu aufstellen, handlungsfähiger werden, das alles schnell. Würde die Kommission auch noch diese nationalen Kompetenzen an sich reißen wollen? Die großen Mitgliedstaaten sträuben sich. Es bestehe die Gefahr, so sieht es Manfred Weber, „dass dieses historische Zeitfenster“ nicht genutzt werde, um etwa die europäische Verteidigungsgemeinschaft voranzutreiben. „Ursula von der Leyen hat unsere volle Unterstützung, auf die Staats- und Regierungschefs Druck auszuüben, damit die EU weitreichende Entscheidungen trifft“, sagt der CSU-Mann.

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