Der Präsident machte es sich nicht einfach. Ein ums andere Mal vertrösteten seine Mitarbeiter die Reporter im Weißen Haus, die ungeduldig auf die ersten Äußerungen Bidens zu der Entwicklung in der Ukraine warteten. Mit fast 90 Minuten Verspätung trat er dann im East Room vor die Kameras, um „den Beginn einer russischen Invasion der Ukraine“ zu attestieren. Russland habe mit der Ausrufung der beiden Republiken im Osten der Ukraine „eine Verletzung des Völkerrechts begangen, die eine starke Antwort verlangt“.
Biden kündigte an „Sanktionen zu implementieren, die weit über das hinausgehen, was wir 2014 gemacht haben. Und wenn Russland den Einmarsch fortsetzt, weiten wir unsere Sanktionen aus“. Dabei haben es schon die ersten Maßnahmen der USA in sich, die auf dem Niveau des deutschen Genehmigungsstopps für Nord Stream 2 einsteigen.
Der Präsident bekräftigte die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz und sagte, die Erdgasröhrenleitung werde unter diesen Bedingungen keinesfalls in Betrieb genommen. Ferner schneiden die USA Russland von der Finanzierung auf westlichen Märkten ab. Ein Szenario, gegen das sich Moskau mit dem Aufbau eines staatlichen Überschusses teilweise gewappnet hat. Dagegen dürften die angekündigten Sanktionen gegen die beiden großen Banken VEB und die Militärbank nach Ansicht von Analysten mehr Gewicht haben. Ebenso die Strafmaßnahmen gegen eine Liste gut vernetzter Milliardäre und deren Angehörigen, auf die Putin seine Macht stützt.
Biden sagte den baltischen Staaten eine Verlegung weiterer US-Truppen zu, die bereits anderswo in Europa stationiert sind. „Wir haben keine Intention, gegen Russland zu kämpfen“, betonte der Präsident die defensive Absicht. „Aber wir werden jeden Zentimeter an NATO-Territorium verteidigen.“
Abermals machte Biden klar, dass es an Putin liege, ob es zu einem Krieg in der Ukraine kommt. „Es gibt keine Rechtfertigung für diese Aggression“, sagte er mit Blick auf die Rede Putins aus dem Kreml am Montag. „Er hat direkt das Recht der Ukraine, zu existieren, angegriffen“, verwies er auf eine Passage aus den Ausführungen, in deren Kontext Putin indirekt auch Mitgliedern der NATO gedroht hatte. „Wir sehen sehr klar, welcher Gefahr wir hier ausgesetzt sind“. Biden endete seine kurze Ansprache mit der Hoffnung, „dass Diplomatie immer noch möglich ist“.
Die hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen ließ sich an der Terminierung der Biden-Äußerungen ablesen. Gleich mehrere Male verschob das Weiße Haus den Auftritt des Präsidenten, der sich erstmals seit Anerkennung der sogenannten „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine durch Putin äußerte. Bis zur letzten Minute feilten Biden und seine Berater an der Antwort auf den Einmarsch russischer Truppen in die von Separatisten gehaltenen Gebiete von Donezk und Luhansk.
Ein hoher Mitarbeiter des Weißen Hauses hatte vor dem Auftritt des Präsidenten erklärt, Biden werde sicher nicht „das ganze Paket“ an Sanktionen bekannt geben. Es gehe darum, Putin von einer größeren Invasion abzuhalten, die auch die Hauptstadt Kiew und andere Teile des Landes ins Visier nehmen. „Wenn sie ihn abschrecken wollen, brauchen wir die Drohung mit weiteren Sanktionen.“
Weißes Haus vermied den Begriff der Invasion zu gebrauchen
Das Weiße Haus vermied nach der Rede Putins in Moskau über Stunden, den Begriff der Invasion zu gebrauchen. Die USA orientierten sich nicht an den Worten des Kreml-Chefs allein, sondern an den Taten seiner Militärs, erläuterte ein hoher Mitarbeiter des Weißen Hauses die anfängliche Zurückhaltung.
Man werde abwarten, was vor Ort passiere.
Der stellvertretende Sicherheitsberater des Präsidenten, Jon Finer, wand sich wie ein Aal, als ihn eine CNN-Moderatorin im Abendprogramm zu einer Einschätzung drängte. Am Morgen dann sprach er unmissverständlich „von dem Beginn einer Invasion, Russlands jüngste Invasion in die Ukraine.“
In der Zwischenzeit hatte Präsident Biden die Lage mit seinem sicherheitspolitischen Team im Weißen Haus abgestimmt. An dem Treffen nahmen neben Verteidigungsminister Lloyd Austin, Außenminister Antony Blinken und dem Joint Chiefs of Staff, General Mark A. Milley, die Vertreter der Geheimdienste sowie Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas und Finanzministerin Janet L. Yellen teil. Biden telefonierte auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem Präsidenten der Ukraine Wolodymyr Selenskyj.
Ein Ergebnis der Beratungen war die Ankündigung der Nicht-Zertifizierung von Nord Stream 2 durch Bundeskanzler Olaf Scholz. Ein Schritt, den die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, ausdrücklich lobte. „Wir haben das in der Nacht mit Deutschland besprochen und begrüßen die Ankündigung.“
Am Dienstagnachmittag (EST Ortszeit) wollte Außenminister Blinken mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in Washington weitere Schritte beraten. Das für Donnerstag ins Auge gefasste Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow wurde derweil von Blinken abgesagt.