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Winston Churchill Der Blick auf die Ikone verändert sich

Er gilt als einer der bedeutendsten Briten überhaupt: Winston Churchill ist vor 150 Jahren geboren. London-Besucher können die unterirdischen Räume besuchen, in denen er während des Krieges gearbeitet hat.
28.11.2024, 05:00 Uhr
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Von Susanne Ebner

Der frühere Premier Winston Churchill wurde vor 150 Jahren geboren und gilt als einer der bedeutendsten Briten aller Zeiten. Sein Bild als charismatischer Politiker mit Zigarre wurde zu einem ikonischen Motiv. Seit einigen Jahren steht sein Vermächtnis jedoch auch in der Kritik.

Dicke, unverputzte Wände. Schwere Türen, fensterlose Räume. Wer die Churchill War Rooms in London besucht, betritt einen Bunker. Besucher durchschreiten ein Labyrinth von Gängen. Hier arbeiteten, aßen und schliefen während des Zweiten Weltkrieges Männer und Frauen, die sich vor den deutschen Bomben in Sicherheit bringen mussten.

Vor allem aber erzählt der Ort die Geschichte des ehemaligen Premierministers Winston Churchill und seiner wichtigen Rolle in dieser Zeit. Der Ort diente seiner Regierung als geheimes, unterirdisches Hauptquartier und ist heute ein Museum. „In diesen Räumen trafen sie die Entscheidungen, die das Land vom Rande der Niederlage zum endgültigen Sieg führten“, betonen die Ausstellungsmacher.

Die Verantwortung, die damals auf dem Premier gelastet haben muss, kommt nicht nur in den Geschichten zum Ausdruck, die über ihn erzählt werden. Auf der linken Armlehne seines Holzstuhls im Kabinettssaal sind tiefe Rillen zu sehen. Sie stammen von Churchills Fingernägeln. Ein Blick in die Geschichte zeigt die schwierige Situation des konservativen Premiers in den 1940er-Jahren. Nach den großen Verlusten des Ersten Weltkrieges war das Königreich geschwächt. Und als Deutschland zwei Jahrzehnte später den Kontinent mit einem Krieg überzog, waren die Briten nach wie vor kriegsmüde.

Doch Churchill motivierte seine Landsleute zum Weiterkämpfen – und spielte damit eine wichtige Rolle für den späteren Triumph der Alliierten. Der frühere Premier ist bis heute eine Legende. „Churchill wird als charismatischer Anführer gesehen, der Großbritannien im Krieg zusammenhielt und zum Sieg führte“, sagt die Historikerin Almuth Ebke, die derzeit in London forscht und ein Buch über „Britishness“ („Britischsein”) und nationale Identität in Großbritannien geschrieben hat.

Sein Bild als charismatischer Redner mit Zigarre sei „zu einem ikonischen Motiv geworden”. Auch Hollywood habe ihn längst zur Heldenfigur überhöht, schreibt die Historikerin und Journalistin Franziska Augstein in ihrer Churchill-Biografie. Er prägte geflügelte Worte, wie den Satz, dass er „außer Blut, Schweiß und Tränen nichts zu bieten habe“.

Übersehen wird oft, dass sein Leben auch von vielen Widersprüchen und Unwägbarkeiten geprägt war: „Winston Churchill war großartig“, greift Augstein den Mythos um seine Person auf, nur um ihn in den folgenden Sätzen ironisch zu brechen: „Er war großartig in seiner Sprunghaftigkeit, in seiner Ungeduld“ und habe als „opportunistischer Karrierist“ Parteien gewechselt, um aufzusteigen.

Doch dann habe ausgerechnet er Tugenden verkörpert, die ein Durchhalten seines Landes in den 1940er-Jahren möglich gemacht hätten: Beständigkeit und Verlässlichkeit. Tatsächlich war der Weg des Mannes, der am 30. November 1874 in die aristokratische Familie Spencer-Churchill hineingeboren wurde, alles andere als geradlinig. Als Schüler habe er die Lehrer gegen sich aufgebracht, sei oft einsam gewesen und habe oft Prügel bezogen, schreibt Augstein.

Nach dem Schulabschluss brauchte er mehrere Anläufe, um die Aufnahmeprüfung für die Royal Military Academy, eine königliche Militärakademie, in Sandhurst zu bestehen. Danach diente er als Offizier auf mehreren Kontinenten, erhielt Medaillen, schrieb Bücher und arbeitete als Journalist. Ende des 19. Jahrhunderts begann er, sich in seiner Heimat politisch zu engagieren und bekleidete daraufhin diverse Ministerämter.

In den 1930er-Jahren eckte Churchill mit seiner Kritik an der Appeasement-Politik des damaligen Premiers Neville Chamberlains an. Dieser wollte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland den Frieden durch internationale Entspannung stabilisieren. Als Chamberlain wegen der erfolglosen Kriegsführung zurücktreten musste, übernahm Churchill. „Er galt in den 1930er-Jahren als politisch erledigt“, schreibt Augstein, doch weil er unermüdlich vor der deutschen Bedrohung gewarnt hatte, wurde er schließlich zum neuen Premierminister.

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Seine standhafte Weigerung, sich zu ergeben oder mit den Nazis zu verhandeln, gab der Widerstandsbewegung in Großbritannien Mut – vor allem zu Beginn des Krieges. „Beliebt war er zu fast allen Zeiten bei den wenigsten seiner Parlamentskollegen. Aber an seiner überragenden rhetorischen Begabung kamen weder die Fraktionschefs noch die Premierminister vorbei”, beschreibt ihn die Biografin. Das habe ihm auch geholfen, das Volk zu überzeugen. „Wenn er in der BBC gegen Hitler polemisierte, lachte die Nation.“

Die Ausstellung in London zeigt, wie sich der Mythos und der Kult um Churchill schon bald nach seiner Ernennung zum Premier sichtbar im Alltag der Briten niederschlugen. Er wurde als Porzellanfigur dargestellt, es gab Tassen, Spiel- und Postkarten. Bis heute werden Churchill-Figuren verkauft. Dass viele Briten ihn vor allem als Kriegshelden in Erinnerung haben, liege auch an der Art, wie die Geschichte über ihn geschrieben wurde, betont Almuth Ebke.

„In den Jahrzehnten nach dem Krieg trugen Medien, Historiker und Politiker dazu bei, Churchills Rolle zu überhöhen. Er wurde zum Inbegriff des heroischen Zweiten Weltkrieges.“ Dieser sei für Briten „eine Quelle von Stolz und Patriotismus” und bediene ein gewisses Selbstverständnis als Großmacht, die vor Militäreinsätzen im Ausland nicht zurückschreckt, betont Frank Trentmann, Historiker am Birkbeck College der Universität London.

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Der Widerstand und das Agieren im Zweiten Weltkrieg wird als Großbritanniens „beste Stunde“ erinnert und gefeiert. Aber das Erinnern schließe auch das Vergessen ein, so Lucy Noakes, Professorin für Geschichte an der University of Essex. Der Einsatz von Arbeitskräften und Soldaten aus vielen verschiedenen Ländern etwa sei für diese Erinnerung bestenfalls nebensächlich. Dennoch blicken Briten mittlerweile kritischer auf den früheren Premier. „Es hat Proteste gegen Churchill gegeben, insbesondere im Zusammenhang mit der Bewegung ,Black Lives Matter’, die im Jahr 2020 weltweit an Bedeutung gewann”, sagt Ebke.

Im Jahr 2020 wurde eine Churchills Statue in London beschädigt und mit einem Graffiti versehen, das ihn als Rassisten bezeichnete. „Viele halten den zweimaligen britischen Premierminister für einen Rassisten, Kolonialisten und Imperialisten. Das war er auch", schreibt Augstein in ihrer Biografie. Besonders deutlich habe sich dies in seiner Indienpolitik geäußert. „Als die britische Regierung, es war in den 1930-er Jahren während Churchills Hinterbänklerzeit, Indien ein gewisses Maß an Selbstbestimmung einräumen wollte, hielt er das für einen gedankenlosen Verrat am Empire”, so die Historikerin.

Er sei ein Kind seiner Zeit gewesen und er habe seine Zeit unter anderem damit verbracht, die Zeit aufzuhalten. Die Ausstellung in den unterirdischen Kabinetträumen in London endet jedoch mit einem Raum, der das Bild Churchills als Nationalheld unterstreicht: Der Besucher erhält einen Blick in sein Schlafzimmer, einen fensterlosen Raum. Auf einem hölzernen Schreibtisch steht ein Mikrofon, mit dem er in Kriegszeiten zu den Briten sprach. Vergessen sind seine Worte bis heute nicht.

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