Mehr oder weniger Ruhe herrschte in weiten Teilen Deutschlands an diesem Augustsonntag des Jahres 2020. Die Menschen waren viel weniger unterwegs als im Jahr zuvor. In einigen Regionen dagegen gab es Hochbetrieb: zum Beispiel an der Küste nördlich von Bremen und Hamburg, im nördlichen Brandenburg und an der mecklenburgischen Ostsee, aber auch im Schwarzwald und im Allgäu. Warum? Wahrscheinlich, weil wegen Corona viel mehr Leute als sonst Urlaub im eigenen Land machten. Darauf deutet die Auswertung von Mobilfunkdaten hin.
Solche und noch viel mehr statistische Informationen zu Alltag, Wirtschaft und Gesellschaft, aufbereitet mit Schaubildern und Grafiken, finden sich im Datenreport 2021. Den „Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland“ präsentierte am Mittwoch das Statistische Bundesamt mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB).
Oft stammen die neuesten verfügbaren Zahlen von 2018. Wegen der Pandemie haben sich die Fachleute aber auch aktuellere Einblicke ins Jahr 2020 verschafft. So müsse man davon ausgehen, dass die soziale Ungleichheit durch die Pandemie zunehme, erklärte WZB-Chefin Jutta Allmendinger. Beschäftigte mit niedrigen Einkommen wurden eher arbeitslos oder in Kurzarbeit geschickt als Leute mit höheren Verdiensten. Hinzu kommen Bildungsprobleme: Viele Kinder in ärmeren Haushalten haben keine Laptops oder Tablets, weshalb sie schlechter am Distanzunterricht teilnehmen können.
„Fast jede sechste Person, lebte unterhalb der Armutsschwelle“
Der Report verzeichnet jedoch nicht nur schlechte Nachrichten zur sozialen Lage. Eine gute: 2018 ging die relative Armut in Deutschland leicht zurück. „15,8 Prozent der Bevölkerung, fast jede sechste Person, lebte unterhalb der Armutsschwelle“, sagte WZB-Experte Philip Wotschack. Diese wird bei 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens der Bevölkerung definiert. Als armutsgefährdet galt eine Einzelperson für 2018, wenn sie weniger als 1040 Euro monatlich zur Verfügung hatte. Im Vergleich zu 2017 (16 Prozent) nahm diese Bevölkerungsgruppe leicht ab. In den Jahrzehnten zuvor war die Armut deutlich gewachsen. In den 1990er-Jahren lag sie nur bei zehn Prozent.
Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man neben der Verteilung der Einkommen auch die Verteilung der Vermögen betrachtet. Die kombinierte Armutsquote der Menschen, die in beider Hinsicht arm sind, liegt dann nur bei etwa zehn Prozent, erläuterte Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine Erklärung: Ältere Leute erhalten vielleicht eine sehr kleine Rente, leben aber im eigenen Haus, was ihre soziale Lage erheblich verbessert.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Verteilung von Wohlstand und Reichtum in Deutschland sehr ungleich ist. Die ärmere Hälfte der Bundesbevölkerung besitzt kaum Kapital- und Immobilienvermögen, während sich zwei Drittel der Werte bei den wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte konzentrieren. Und dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung gehört alleine knapp ein Drittel aller Vermögen.
Trotz gewisser positiver Entwicklungen „haben sich die Armutsrisiken in den vergangenen Jahren verfestigt“, resümierte Wotschack. Haushalte, die einmal arm sind, können sich schwerer hocharbeiten. Eine politische Ursache liegt wohl darin, dass benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu wenig gefördert werden. Außerdem wird darüber diskutiert, ob man die Minijobs nicht abschaffen soll, die Beschäftigte teilweise im Niedriglohnsektor festhalten. Jedenfalls sind mittlerweile mehr als zwei Drittel der Bundesbevölkerung der Ansicht, dass der Staat Einkommensunterschiede irgendwie abbauen soll – auch ein solches Schaubild enthält der Datenreport.
Jeder vierte Bremer armutsgefährdet
In Bremen gelten von 100 Personen 25 als von Armut bedroht. Laut dem Statistischen Bundesamt lag die sogenannte Armutsgefährdungsquote 2019 bei knapp 25 Prozent. Der Anteil der Menschen, die also 60 Prozent des Medianeinkommens oder weniger zur Verfügung haben, ist seit Jahren annähernd unverändert. Auch der Bremer Armutsforscher René Böhme spricht wie die Datareport-Autoren von dem Trend, dass sich die sogenannten Armutslebenslagen verfestigen. „Die Gründe dafür sind vielfältig“, sagt er. „Unter anderem, dass es für Menschen mit keinem oder einem geringen Bildungsabschluss schwieriger geworden ist, Arbeit oberhalb des Niedriglohnsektors zu finden.“ Dass die Pandemie schon bestehende soziale Ungleichheiten noch verstärkt, belegen für Bremen auch die Daten der Arbeitnehmerkammer. Auf dem Höhepunkt der Kurzarbeit im April 2020 sanken die Löhne der Angestellten im Durchschnitt um knapp fünf Prozent, bei den ungelernten Beschäftigten dagegen um etwa 15 Prozent.
Für Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) ist die auseinandergehende soziale Schere ein Phänomen, das sich besonders in den Stadtstaaten zeigt. „Die Balance zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verschiebt sich immer weiter“, sagt sie. „Der Weg aus der Armut führt über Bildung.“ Handlungsleitend für die bremische Politik sei, das System der frühkindlichen, vorschulischen und schulischen Bildung auch für Kinder aus bildungsfernen Familien ständig weiterzuentwickeln. Erforderlich seien Qualifizierungsangebote und soziale Unterstützung auch für Erwachsene.