Auf fast 300 Seiten haben gut ein Dutzend Autoren „150 Jahre Sozialdemokratie Bremen und Bremerhaven“ beschrieben. Herausgeber sind die Wissenschaftlerin Renate Meyer-Braun, Beenhard Oldigs, unter anderem Verfasser einer Biografie über die tödlich verunglückte Senatorin Hilde Adolf, sowie Ex-Senator Herbert Brückner – alle drei Sozialdemokraten. Wigbert Gerling sprach mit Renate Meyer-Braun über das Buch zur bremischen Historie der Partei.
Weshalb wurde ein Buch über die Bremer SPD geschrieben?
Renate Meyer-Braun: Welch eine Frage! Es ist das erste Mal, dass die Geschichte der SPD in Bremen von Anfang bis Ende geschrieben wurde. Die Partei blickt auf eine 150-jährige Tradition zurück. Das ist auch eine Geschichte der Hansestadt, und ich denke, das ist nicht nur für Sozialdemokraten interessant.
Die SPD prägt geradezu seit Menschengedenken die Politik des Bundeslandes. Wie konnte das passieren?
Böse Zungen behaupten ja manchmal, man müsse nur einen Besenstiel auf den Markt stellen und ein SPD-Schild dranhängen, schon werde die Partei gewählt. Aber ernsthaft: Die Frage, wie es zu diesem prägenden politischen Einfluss kam, beschäftigt mich auch. Gewiss spielt unter anderem eine Rolle mit, dass es mit Nachkriegs-Bürgermeistern wie Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick und der stellvertretenden Bürgermeisterin Annemarie Mevissen herausragende Persönlichkeiten in der Parteigeschichte gibt, dass große und gute Vorhaben verwirklicht wurden. Und auch nach schwächeren Phasen wird ja immer wieder auch die Hoffnung auf die SPD gerichtet, sie werde sich berappeln, sie sei nötig.
Was zählen Sie zu den „großen und guten Vorhaben“ in der Historie der Bremer SPD?
Ich denke dabei zum Beispiel an den sozialen Wohnungsbau in den 1950er Jahren, in der Vahr, der Gartenstadt Vahr, später in Blockdiek oder Huchting. Und ich denke an die vielen Sportstätten und Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Das ist solch ein Pfund, mit dem die Partei wuchern kann. Es war auch eine Leistung, als dann rund 40 Jahre später vor dem Bundesverfassungsgericht eine Milliarden-Hilfe für Bremen erstritten wurde. Und auch die Ansiedlung von Mercedes ist gewiss ein wichtiges Datum in der bremischen Zeitgeschichte.
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die SPD in Bremen immer Regierungspartei. Können Sie jemanden wie CDU-Vize Jens Eckhoff verstehen, der meint, es käme der politischen Kultur der Stadt zugute, wenn die Sozialdemokraten mal in die Opposition geschickt würden?
Jens Eckhoff ist bestimmt ein interessanter Typ. Aber er hat ja selber Probleme mit seinen Christdemokraten. Die müssten sich einfach anstrengen, um besser zu werden, die sollen dann mal etwas liefern. Früher gab es ja auch noch die FDP. Nun ist im bürgerlichen Lager die CDU alleine und müsste sich politisch beweisen. Zuletzt war die Partei allerdings nicht gerade beispielgebend für eine Regierungspartei.
Es gab in Bremen Phasen mit SPD-Alleinherrschaft. Das war einmal, das kommt nie wieder?
Diese Zeiten sind wohl vorbei. Die Parteienlandschaft hat sich stark verändert, es gibt die Grünen, es gibt die Linke.
Zurück zum Buch, in dem immer wieder von harten Flügelkämpfen in der Partei berichtet wird. Ist die SPD heute ruhiger geworden?
Flügelkämpfe gibt es nicht mehr. Das war die wilde Zeit der 70er Jahre. Es war eine Folge der 68er-Protestbewegung. Das hat die SPD unmittelbar beeinflusst. Ich erinnere daran, dass damals die Parteibasis gegen das sozialdemokratische Establishment von Funktionsträgern den Bau der Mozarttrasse verhindert hat. Es formierte sich in der SPD – unter anderem mit Herbert Brückner, Henning Scherf und Klaus Wedemeier – eine Linke, die die Bürgerschaftsfraktion aufmischte. Heute ist es, in Gänsefüßchen gesprochen, harmonischer geworden.
Verfolgt man die 150 Jahre Historie, dann kann man zu dem Schluss kommen, die SPD, einst von Arbeitern geprägt, sei nun eher etwas für Intellektuelle.
Das stimmt nicht. Natürlich hat sich die Mitgliederstruktur mit der Zeit verändert. Mit dem Godesberger Programm von 1959 wurde die SPD von einer Arbeiter- zu einer Volkspartei. Heute sind es andere Arbeitnehmer, die sich über die Partei für gesellschaftliche Belange engagieren. Das ist schließlich auch ein Ergebnis sozialdemokratischer Bildungspolitik seit den 70er Jahren. Die Sozialdemokraten wollten den Aufstieg von Kindern und Jugendlichen erreichen.
Heute gilt es schon fast als revolutionär, wenn die Parlamentarier hier und dort an den Haushaltsentwürfen aus dem Rathaus etwas zu ändern wagen.
Moment! Da sind gerade für die Haushaltsplanungen 2014 und 2015 eine ganze Reihe von Veränderungen aus der Fraktion gekommen. Da wurden Millionen umgeschichtet. In den 50er und 60er Jahren trat die Fraktion mit dem Vorsitzenden Richard Boljahn – oder erst recht die Fraktion in den 70er Jahren – tatsächlich wohl noch anders auf.
Sie war machtvoller?
Es war natürlich eine andere Zeit, aber ich denke schon, dass die Parlamentarier heute wieder etwas machtbewusster auftreten könnten. Die sozialdemokratische Fraktion sollte selbstbewusster und streitlustiger sein.
Zur Person: Renate Meyer-Braun, Jahrgang 1938, hat Geschichte und Anglistik studiert und über die Bremer SPD promoviert. Sie war Professorin an der Hochschule Bremen.