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Stimmungstief bei der SPD Gabriel, der Angezählte

Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rente mit 63 - dennoch ist die SPD in den Umfragen des ARD-Deutschlandtrends auf 21 Prozent gefallen. Ist Perteichef Sigmar Gabriel Schuld an der Misere?
13.04.2016, 06:58 Uhr
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Gabriel, der Angezählte
Von Karl Doemens

Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rente mit 63 - dennoch ist die SPD in den Umfragen des ARD-Deutschlandtrends auf 21 Prozent gefallen. Ist Perteichef Sigmar Gabriel Schuld an der Misere?

Sie kommen aus den Ferien. Aber viele wirken, als hätte es dort die ganze Zeit geregnet. Es ist Dienstagnachmittag, kurz vor 15 Uhr. Die erste Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion nach der Osterpause. Noch sind es 193 Abgeordnete. Doch wenn die aktuellen Umfragen stimmen, dann könnten es 2017 schon 40 weniger sein. „Natürlich lasten die Umfragen auf der Seele der Partei“, gesteht Fraktionsvize Hubertus Heil. Herunterziehen lassen will er sich aber nicht. Andere wirken ratlos und frustriert.

Noch ehe die Sitzung hinter verschlossenen Türen beginnt, tritt Fraktionschef Thomas Oppermann draußen vor die Kameras. D–rei Themen hat er sich auf einem kleinen Zettel notiert: Ein 20-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Steuerflucht. Ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Und kurz vor dem nächsten Koalitionsausschuss eine klare Ansage an die Union: „Ich erwarte, dass die Dinge, die längst vereinbart sind, rasch geklärt werden.“ Das klingt entschieden, tatkräftig, selbstgewiss.

Doch die erste Journalistenfrage bezieht sich gleich wieder auf die Lage der SPD. „Ich stelle fest, dass unsere parlamentarischen Erfolge uns nicht ohne Weiteres zugeschrieben werden“, räumt der Fraktionschef ein: „Die SPD muss sich nun auf ihre Kernthemen konzentrieren.“ Und was ist mit dem angeschlagenen Vorsitzenden? „Es gibt in der SPD keine Personaldiskussionen“, betont Oppermann. Punkt.

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Derweil ist Sigmar Gabriel mit leichter Marbella-Bräune im Gesicht und neuen blauen Wildlederschuhen an den Füßen an den Kameras vorbei in den Fraktionssaal geschlüpft. Drinnen plaudert er freundlich, stellt sich neben Außenminister Frank-Walter Steinmeier und pflaumt scherzhaft Journalisten an. Das Übliche also. Kein Grund zur Aufregung.

Im kleinen Kreis jedoch wird in der SPD überall diskutiert: Haben wir nicht den Mindestlohn, die Mietpreisbremse und die Rente mit 63 eingeführt? Geholfen hat es nichts. In den Umfragen des ARD-Deutschlandtrends ist die SPD auf katastrophale 21 Prozent gefallen. Erste Auguren sehen die Partei sogar schon unter der 20-Prozent-Marke.

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Wer nach den Gründen sucht, stößt auf eine Reihe von Indizien, aber keine zwingende Erklärung. Auch in anderen europäischen Ländern haben es die Sozialdemokraten schwer. Hierzulande kommt CDU-Kanzlerin Angela Merkel hinzu, die lange Zeit alles überstrahlte. Gleichzeitig ist die Position der SPD oft nicht einfach erkennbar: Die Genossen haben sich ein Stück von der Agenda 2010 entfernt, doch ganz verdammen möchten sie die Reformen nicht. In der Flüchtlingskrise stehen die Funktionäre entschieden auf Seiten der Schutzsuchenden, doch Teile ihres Kern-Klientels sind verunsichert und besorgt. Schließlich der Vorsitzende: Gabriel hat ein geniales Gespür für Stimmungen. Er kann klug argumentieren. Er ist im kleinen Kreis gelegentlich sogar charmant. Doch kurz darauf verstört er die Anhänger regelmäßig mit seiner Unbeherrschtheit, mit inhaltlichen Pirouetten und mit ruppigen Umgangsformen.

Es wäre unfair, dem Parteichef die Schuld an der Misere zu geben. Gleichwohl führte eine ähnlich dramatische Ausgangslage 2008 zum Sturz von Kurt Beck. Insofern ist es höchst bemerkenswert, dass sich außer Juso-Chefin Johanna Uekermann derzeit kein halbwegs bekannter Funktionär findet, der Gabriel offen kritisiert. Als engagierte Unterstützung kann man das freilich kaum deuten. Schon das magere 74-Prozent-Ergebnis des Parteitags deutete die verborgenen Spannungen an. Die äußere Ruhe entspringt eher dem Ernst der Lage: Niemand möchte derzeit in Gabriels Lage sein: Zwei desaströse Landtagswahlen hinter sich. Eine Klatsche in Mecklenburg-Vorpommern vor sich. Die Kanzlerschaft in unerreichbarer Ferne.

Am Dienstag, hinter verschlossenen Türen, ist es bemerkenswerterweise Gabriel selbst, der die heikle Personalfrage offen anspricht. „Es ist nichts Unehrenhaftes, über die Rolle des Vorsitzenden zu reden“, sagt er: „Schlimmer ist es, wenn man sich umschleicht.“ Und dann sagt er einen Satz, der manche aufhorchen lässt: „Keiner ist SPD-Vorsitzender, weil er seine eigene Rolle zu wichtig nimmt.“ Das ist eine Demutsgeste. Man könnte in ihr aber auch eine leise Andeutung hören: Wenn jemand anderes den Job machen will – bitteschön!

Doch ganz so einfach macht Gabriel den Genossen die Sache nicht. Wenn er den Eindruck hätte, der SPD zu helfen, würde er gehen, sagt er. Allerdings würden beide Volksparteien derzeit massiv an Unterstützung verlieren. Also könne es wohl nicht an seiner Person liegen, argumentiert er. Niemand widerspricht. Noch nicht.

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