Am Montagmorgen steht Olaf Scholz auf der Bühne der Berliner Parteizentrale. Seine SPD hat bei der Bundestagswahl nicht nur die meisten Stimmen geholt, sondern auch in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewonnen. Links und rechts von ihm stehen jetzt Franziska Giffey und Manuela Schwesig, außen die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Die Botschaft dieses Auftritts lautet: Die Sozialdemokratie ist stark wie lange nicht, und sie ist fest entschlossen, im Bund mit einer Ampel-Koalition zu regieren. Scholz wird das in einer Pressekonferenz am Mittag noch einmal bekräftigen: Er strebe, sagt er da, eine „Fortschrittsregierung“ mit Grünen und FDP an.
Scholz‘ frühe Klarstellung ist nötig geworden, weil am Wahlabend Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet von einer „Zukunftskoalition“ zusammen mit Grünen und FDP gesprochen hatte, mit der er das Land führen wolle. Was insofern bemerkenswert war, als bereits kurz nach Schließung der Wahllokale absehbar war, dass CDU und CSU stark an Zustimmung verloren haben: um 8,8 Prozentpunkte auf historisch niedrige 24,1 Prozent. Zudem ist die Union hinter der SPD (25,7) ins Ziel gegangen.
Breitseite aus Sachsen
Dass Laschet aus dieser Niederlage einen Führungsanspruch für das ganze Land ableiten würde, wäre nicht abwegig. Auch in Bremen hat 2019 die unterlegene SPD ein Regierungsbündnis mit Grünen und Linken gegen den überlegenen CDU-Kandidaten geschmiedet. Aber wäre das angemessen für einen Wahlverlierer auf Bundesebene? Im CDU-Präsidium und vom Bundesvorstand kriegt Armin Laschet am Montagvormittag die volle Breitseite der Funktionäre zu spüren. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht von inhaltlichen und personellen Fehlentscheidungen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fordert eine Neuaufstellung der CDU. Und aus München droht CSU-Chef Markus Söder, jetzt dürfe nicht zur Tagesordnung übergegangen werden.
In der hitzigen Sitzung im Konrad-Adenauer-Haus rudert Laschet schließlich zurück. Aus dem Wahlergebnis, sagt er dort, könne niemand einen Regierungsanspruch ableiten; das habe er am Wahlabend auch nicht gesagt. In der anschließenden Pressekonferenz erklärt er dann selbstbewusst, er habe von Präsidium und Bundesvorstand volle Rückendeckung für ein Jamaika-Bündnis bekommen. „Keiner hat Zweifel daran geäußert, dass die Union ihre Bereitschaft zur Regierungsbildung formulieren muss.“ Laschet verspricht der Partei Aufarbeitung und Grünen und FDP „Augenhöhe“ für mögliche Sondierungen.
Leicht verbessert
Bevor es aber dazu kommt, wollen Liberale und Grüne sich untereinander verständigen. Die FDP hat sich mit 11,5 Prozent leicht verbessert. Es gehe nun um ein „demokratisches Zentrum“ mit den Grünen, sagt FDP-Parteichef Christian Lindner am Montagmittag. Über Inhalte oder einen Zeitrahmen schweigt er sich aus. Hinweise aus CDU und CSU habe man aufgenommen, seitens der SPD-Spitze beobachte man eine „faszinierende Kommunikation“, sagt Lindner.
Sein Generalsekretär Volker Wissing ergänzt, am Ende müsse eine Regierung stehen, in der „alle Bügerinnen und Bürger zu Gewinnern werden“. Christian Dürr, FDP-Abgeordneter aus Ganderkesee, sagt dem WESER-KURIER, es mache Sinn, dass Grüne und FDP miteinander reden, beide seien „gut sortiert“.
Ähnlich sieht das die Bremer Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther. Die Gesundheitspolitikerin zieht über die Landesliste erneut in den Bundestag ein. Sie sagt dem WESER-KURIER, sie sei „froh über die Möglichkeit, mit der SPD die nächste Regierung zu bilden“.
Auch Kappert-Gonthers Parteivorsitzende zeigen am Montag eine Neigung zur Ampel im Bund. In der gemeinsamen Pressekonferenz am Montagnachmittag sagt Robert Habeck, angesichts des Wahlsieges der SPD sei Rot-Grün-Gelb die wahrscheinlichere Option. Dabei dürfe es jedoch nicht um eine „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners gehen“. Seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock ergänzt, zentral sei jetzt die Erneuerung des Landes. Gespräche mit anderen Parteien sollten „im geschützten Raum“ im kleinen Kreis stattfinden.
Zeitgleich zum Auftritt der Grünen hatte in der CDU-Zentrale Armin Laschet öffentlich um sein politisches Überleben gekämpft. Gut möglich, dass sein Lavieren und die heftige Kritik gegen ihn dazu geführt haben, dass sich die Grünen fürs erste lieber der geschlossen wirkenden SPD zuwenden.