Die Versuche der Politiker, nach der tödlichen Messerattacke von Solingen mit Gesetzesverschärfungen zu reagieren, offenbaren die gesamte Hilflosigkeit von Bund und Ländern, ein ebenso robustes wie humanes Asyl-und Ausländerrecht zu schaffen. Der Vorschlag von Friedrich Merz, generell keine Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen, mag zwar kernig klingen, ist aber rechtlich kaum machbar und auch nicht sinnvoll. Das weiß der CDU-Chef nur zu genau.
Dafür müsste das Grundgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden. Zudem dürfte das Bundesverfassungsgericht da noch ein entscheidendes Wörtchen mitreden. Übrigens auch beim Thema Asylverfahren in Drittstaaten.
Ohnehin stellt sich die Frage, ob ein solcher Vorschlag, der zum Beispiel auch Asyl für politische Gegner des syrischen Diktators Baschar al-Assad oder Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan ausschließen würde, überhaupt gewollt ist. Merz würde damit das Kind mit dem Bade ausschütten.
Auch das – schon vor dem Anschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ins Spiel gebrachte – Trageverbot von Messern mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern in der Öffentlichkeit ist wenig hilfreich. Schon bisher ist es nach § 43 des Waffengesetzes verboten, Messer auf Veranstaltungen mitzuführen. Gesetze alleine reichen bekanntlich nicht aus. Entscheidend ist, sie im Zweifelsfall auch durchzusetzen.
Der Satz von SPD-Co-Chefin Saskia Esken, aus dem Fall Solingen lasse sich nicht viel lernen, ist ebenfalls falsch. Aus Solingen lässt sich eine Menge lernen: über die mangelnde Konsequenz, mit der die Behörden fällige Abschiebungen in die Herkunftsländer und Überstellungen in andere EU-Länder umsetzen. Wie das Bundesinnenministerium ausführte, finden auch innerhalb der Europäischen Union nur etwa zehn Prozent aller Rückführungen überhaupt statt. Verantwortlich dafür sind die Bundesländer. Um sich der Maßnahme zu entziehen, reichte es bei Issa al H. aus, einfach nur zum geplanten Zeitpunkt der Überstellung nach Bulgarien nicht in der Aufnahmeeinrichtung zu sein.
Ins Bild passt auch ein Schreiben der Landesaufnahmeeinrichtung Niedersachsen an die Bundespolizei in Düsseldorf, wonach Asylbewerber, die sich der Abschiebung aktiv oder passiv widersetzen, auf freien Fuß gesetzt werden können. Asylbewerber, die sich widersetzen, gehören entsprechend behandelt. Das kann unangenehm werden, ist aber selbst gewählt und zweifellos vom Gewaltmonopol des Staates gedeckt.
Ebenso unbegreiflich ist es, dass Personen, die in Deutschland zum Schutz vor Verfolgung nachsuchen, mit Zustimmung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeitweise in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Wer tatsächlich in seine Heimat reisen kann, ohne dass ihm Verfolgung droht, kann keine hinreichenden Gründe haben, die einen Schutzstatus rechtfertigen.
Bevor jetzt wieder endlos über Gesetzesänderungen gestritten wird, wäre es dringend notwendig, zunächst die bereits geltenden Gesetze konsequent umzusetzen. Ein Beispiel: Zwar hat man jüngst die Dauer einer möglichen Abschiebehaft verlängert, aber gleichzeitig versäumt, deutschlandweit ausreichend Plätze in entsprechenden Einrichtungen zu schaffen.
Das allein wird allerdings nicht reichen. Der Fall von Solingen zeigt, dass Deutschland mit den drei Millionen Asylbewerbern im Land trotz des immensen finanziellen Aufwands von etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr hoffnungslos überfordert ist. Viel ehrlicher wäre es, Anträge nach Asylrecht nur noch bei nachgewiesener individueller Verfolgung zu behandeln und gleichzeitig eine bestimmte Quote von Flüchtlingen ins Land zu lassen, die auch entsprechend engmaschig betreut werden können.
Der Fall von Solingen, aber auch die tödliche Attacke auf einen Polizisten Ende Mai in Mannheim haben gezeigt, was passieren kann, wenn zumeist junge Männer in einem fremden Land ohne Anbindung an die Mehrheitsgesellschaft zu lange auf sich allein gestellt bleiben. Dann kümmern sich andere – mit tödlichen Folgen.