- Wie sehen die aktuellen Zahlen aus?
- Das Impfen und die vierte Welle
- Anstieg der Inzidenz - weniger schwere Verläufe
- Offene Schulen?
- Impfpflicht für Schul- und Kitapersonal
- Regeln für Pflegepersonal in Griechenland und Frankreich
"Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu gehen, den Frankreich vorgeschlagen hat. Wir haben gesagt, es wird keine Impfpflicht geben", sagte Merkel nach einem Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, in Berlin. Sie glaube nicht, dass durch eine Veränderung dieser Aussage Vertrauen gewonnen werden könne. Das könne man gewinnen, indem man für das Impfen werbe.
Manchem möge eine Impfung überflüssig oder bedrohlich erscheinen. "Und deshalb sage ich allen, die noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen sollen: Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern auch immer jemandem, dem Sie nahe stehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben", betonte Merkel. Eine Impfung bewahre nicht nur vor schwerer Krankheit, sondern auch vor den belastenden Beschränkungen des Alltags. "Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso freier können wir wieder leben."
Merkel und Spahn hatten sich zuvor bei einem Besuch des RKI mit Wieler ausgetauscht. Dabei ging es unter anderem um den Einfluss der Impfungen auf den Pandemieverlauf vor dem Hintergrund wieder steigender Infektionszahlen durch die Deltavariante des Coronavirus.
Unterdessen läuft trotzdem die Debatte um die Impfpflicht für Schul- und Kitapersonal, die Situation der Schulen nach den Ferien und die steigende Corona-Inzidenz in Verbindung mit immer mehr Geimpften: Die aktuelle Corona-Situation ist vielschichtig und bei vielen Fragen gibt es unterschiedliche Vorstellungen.
Wie sehen die aktuellen Zahlen aus?
Seit einer Woche steigt die 7-Tage-Inzidenz jeden Tag an. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts lag sie heute Morgen bei 6,5. Genau eine Woche zuvor betrug der Wert von Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen 4,9. Die Gesundheitsämter in Deutschland haben RKI binnen eines Tages 646 Corona-Neuinfektionen gemeldet, es gab 26 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Die für die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus maßgebende Reproduktionszahl lag laut RKI gestern bei 1,15. Die Zahl bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 115 weitere Menschen anstecken. Liegt der Wert anhaltend über 1, steigen die Fallzahlen. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab.
Das Impfen und die vierte Welle
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert eine intensivere Impfkampagne. "Ich vermisse den TV-Spot zum Impfen vor der Tagesschau. Und dann müssen wir direkt vor Ort informieren, und zwar genau da, wo die Impfbereitschaft bisher gering ist. Wir müssen auf die Menschen zugehen", sagte Reinhardt der "Rheinischen Post". Man müsse nicht nur Sportvereine, sondern auch Kulturvereine und Glaubenseinrichtungen für die Impfkampagne mit ins Boot holen. "Statt zu verordnen, müssen wir vor Ort sein."
Die Frage, inwieweit die erhöhten Inzidenzwerte zu einer Belastung des Gesundheitssystems führen werden, hänge maßgeblich von der Impfquote ab, sagte Reinhardt. "Ich finde, jeder Erwachsene steht in der Verantwortung, durch seine Impfung dazu beizutragen, das Infektionsgeschehen niedrig zu halten - auch zum Schutz der Kinder. Sie sind bisher die großen Verlierer der Pandemie."
Anstieg der Inzidenz - weniger schwere Verläufe
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, sagte der Zeitung: "Wir haben in Deutschland aktuell mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung geimpft, was sich deutlich in der Belegung der Intensivstationen bemerkbar machen wird. Wir erwarten bei einem erneuten Anstieg der Inzidenzen deshalb eine deutlich flachere Kurve mit Blick auf die schwer erkrankten Patienten."
Das sieht der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, ähnlich. Mit Blick auf den Herbst sagte er der "Bild": "Wir erwarten bei gleicher Inzidenz viel weniger Corona-Patienten in den Kliniken." Deshalb sieht er auch den Begriff der "vierten Welle" kritisch: "Das sorgt bei den Bürgern nur für die Angst, dass mit steigenden Fallzahlen die Intensivstationen wieder mit Covid-Patienten volllaufen - dank der Impfung wird das aber nicht der Fall sein."
Vorsicht ist aus Sicht von Intensivmediziner Marx aber dennoch weiter angemessen: "Sollten die Infektionsraten sprunghaft ansteigen und ungebremst anwachsen, werden wir auch wieder eine deutliche Zunahme an schwer kranken Patienten erleben, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Denn wir dürfen eben nicht vergessen: 40 Millionen Menschen in Deutschland sind eben noch nicht geimpft."
Offene Schulen?
"Die Bundesregierung muss die Sommermonate nutzen und alles tun, damit die Schulen nach den Sommerferien wieder in den normalen Regelbetrieb kommen", sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Die Alternativen Fernunterricht und Wechselunterricht sind nach so langer Zeit keine Optionen."
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes klingt verhaltener. "Das Szenario eins, von dem wir alle hoffen, dass es Wirklichkeit wird, heißt vollständiger Präsenzunterricht mit einer Sicherheitsphase von mehreren Wochen, wo weiterhin erhöhte Gesundheitsschutzmaßnahmen gelten", sagte Heinz-Peter Meidinger dem RND.
"Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass das nicht ausreichen wird, um die vierte Welle zu verhindern, weil sich diese auch außerhalb der Schulen durch Kontakte ungeimpfter Jugendlicher untereinander verbreiten wird." Deshalb dürfe auch eine "erneute Phase des Wechselunterrichts", bei der Vorbereitung auf das nächste Schuljahr nicht ausgeblendet werden, so der Lehrerpräsident.
Impfpflicht für Schul- und Kitapersonal
Die Forderung nach einer Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen stößt weiter auf Kritik. Lehrerpräsident Meidinger argumentierte in der "Augsburger Allgemeinen": "Nach unserem Kenntnisstand ist die Impfbereitschaft bei Lehrkräften sehr hoch, so liegt die Quote der bereits erstgeimpften Lehrkräfte in einigen Bundesländern bei nahe 90 Prozent." Die Hauptinfektionsgefahr für die Kinder und Jugendlichen drohe also nicht von Erwachsenen und schon gar nicht von Lehrkräften, sondern von Gleichaltrigen.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bekräftigte gegenüber der "Rheinischen Post": "Eine Impfung gegen Covid-19 muss die freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen sein. Hier muss und wird die Politik zu ihrem Wort stehen. Das gilt auch für Lehrer und Erzieher." Der Humangenetiker Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat hatte am Montag eine Impfpflicht für das Personal gefordert.
Regeln für Pflegepersonal in Griechenland und Frankreich
In Griechenland dürfen sich die Menschen künftig nur noch in den Innenräumen von Gastronomie- und Kulturbetrieben aufhalten, wenn sie gegen Corona geimpft sind. Das gab der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis am Montagabend bekannt. Beschäftigte im Gesundheitssektor und in der Altenpflege müssen sich zudem künftig verpflichtend impfen lassen - sonst können sie von ihrer Arbeit freigestellt werden. „Wir werden das Land wegen der Haltung einiger nicht wieder schließen“, sagte der Premier bei einer Ansprache im Staatsfernsehen. Die Patienten auf den Intensivstationen seien „zu 99 Prozent nicht geimpft“, begründete Mitsotakis die Maßnahme.
Frankreich führt derweil eine verpflichtende Corona-Impfung für Personal im Gesundheitsbereich ein. Bis Mitte September haben Angestellte in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie Arbeitskräfte mit Kontakt zu Risikopatienten Zeit, sich impfen zu lassen, wie Präsident Emmanuel Macron am Montag ankündigte. Anschließend solle die Impfpflicht kontrolliert und Verstöße bestraft werden. Gesundheitsminister Olivier Véran präzisierte im Sender LCI, ungeimpftes Gesundheitspersonal könne dann nicht mehr arbeiten und werde nicht mehr bezahlt. „Wir müssen in Richtung einer Impfung aller gehen, weil das vorerst der einzige Weg zurück zu einem normalen Leben ist“, sagte Macron. Dabei stelle sich auch für die Gesamtbevölkerung die Frage der Impfpflicht.