Was muss passieren, wenn Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer am Dienstag an Verfassungsschutzpräsident Maaßen festhalten
Kevin Kühnert: Das wäre dann wohl das Ende der Koalition. Die SPD hat klar benannt, dass sie sich eine weitere Zusammenarbeit nicht vorstellen kann, wenn Maaßen Verfassungsschutzpräsident bleibt. Auf Neudeutsch: Das wäre dann ein Dealbreaker, mit dem wir es zu tun haben.
Zahlreiche SPD-Promis wie Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil oder Bremens Bürgermeister Carsten Sieling fordern Maaßens Entlassung, aber Fraktionsvize Eva Högl sagt, von der Personalie hänge nicht die Zukunft der Groko ab. Was gilt denn nun?
In der SPD entscheiden das weder Eva Högl noch der Juso-Vorsitzende, sondern am Ende die Gremien. Aber wir geben alle unsere Einschätzung ab. Meine lautet: Hier geht es nicht um eine Petitesse, hier geht es um den obersten Verfassungsschützer in Deutschland. Seine Behörde steht seit den NSU-Morden scharf unter Beobachtung, nun hat er das ohnehin schon kleine Restvertrauen in den letzten Tagen aufgebraucht. Es geht nicht um eine Personalie, sondern um Vertrauen in demokratische Institutionen – da kann man den Konflikt gar nicht hoch genug hängen.
Nun gibt ja weitere Vorwürfe: Maaßen soll dem AfD-Abgeordneten Brandner Details aus dem Verfassungsschutzbericht genannt haben, bevor dieser veröffentlicht wurde.
Es ist schlimm genug, dass man ihm das mittlerweile auch ungeprüft zutraut. Er ist ja seit einiger Zeit als jemand mit einer politischen Agenda aufgetreten. Ich hatte mit einen Geheimdienstchef immer anders vorgestellt: schweigsam, im Hintergrund, diskret. Aber er scheint einen großen Geltungsdrang zu haben und möchte wohl auch die politischen Geschicke mitgestalten. Als Staatsbürger steht ihm das frei, aber dann sollte er für politische Ämter kandidieren und das nicht als Behördenchef machen.
Sind wirklich alle SPD-Minister inklusive Vizekanzler Scholz grundsätzlich bereit, ihre Posten wegen dieser Angelegenheit fahren zu lassen?
Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe doch, dass wir in der Sozialdemokratie eine große Einigkeit darüber haben, dass politische Haltung wichtiger ist als der Posten, auf dem man gerade sitzt. Was da gerade passiert, ist ja nicht die Ausnahme, sondern es scheint die Regel zu werden: Wir müssen uns über Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats insbesondere mit der CSU immer wieder neu verständigen. Das ist keine Grundlage für eine Zusammenarbeit.
Welche persönlichen Konsequenzen ziehen Sie, wenn die SPD in einer Regierung bleibt, die an Maaßen festhält?
Ich habe ja kein Amt in der SPD, das ich aus Protest abgeben könnte. Ich habe das Glück, Vorsitzender eines eigenständigen Jugendverbands zu sein, der in der Frage der Großen Koalition immer klar dagegen war.
Der aber damit keine Mehrheit fand.
Aber die Haltung in der SPD in den letzten Wochen war sehr deutlich. Ich fand die Worte zu Chemnitz und auch zu Seehofer und dessen Schweigen angemessen und deutlich. Nur: Jetzt muss das auch Konsequenzen haben. Wenn es allein bei Ermahnungen bleibt, ist die SPD ein berechenbarer Koalitionspartner in dem Sinne: Mit denen kann man es ja machen.
Welche Perspektiven sehen Sie für die SPD, wenn die Groko platzt?
Das beamt uns zurück ins Frühjahr und wir haben immer noch keine Glaskugel. Aber es geht jetzt um etwas anderes: Darum, dass der Rechtsstaat und die Demokratie unter massivem Beschuss stehen. In so einer Phase ist es nicht angebracht, sich parteitaktisch zu verhalten. Oder auf Umfragen zu schielen, ob jetzt gerade Neuwahlen günstig wären.
Sondern?
Man muss sehen, ob man einen Koalitionspartner hat, mit dem man in grundlegenden Fragen übereinstimmt. Was soll ein Geheimdienst machen, worauf darf er sich einlassen, was lässt man einem Beamten durchgehen?
Am heftigsten knirscht es ja regelmäßig innerhalb der Union. Wäre eine Kenia-Koalition für Sie reizvoll, also CDU ohne CSU plus SPD und Grüne?
Reizvoll ist eine Koalition, in der am Ende Angela Merkel übrig bleibt, ganz bestimmt nicht. Es stimmt ja auch nicht, dass alleine die CSU das Problem ist. Was die Kanzlerin denkt, was ihre Partei denkt, wissen wir ja gar nicht wirklich. Merkel hat sich politisch mal wieder schlafen gelegt, sie äußert sich nicht. Sie macht sich auch zum Teil des Problems, denn sie deckt Herrn Maaßen indirekt durch ihr Schweigen. Sie gibt ihm damit Prokura, sein Amt weiter so auszuführen, wie er das tut. Das kann die Sozialdemokratie nicht weiter stützen.
Das Interview führte Joerg Helge Wagner
Kevin Kühnert (29) ist seit 2017 Juso-Bundesvorsitzender. Der gebürtige Berliner arbeitet für ein Mitglied des Abgeordnetenhauses und engagiert sich auch kommunalpolitisch. Er ist gegen eine Große Koalition.