Angela Merkel lässt es an Klarheit nicht fehlen. Am Mittwochmittag tritt sie im Kanzleramt ans Mikrofon, um den tags zuvor angeordneten verschärften Oster-Lockdown wieder zurückzunehmen. „Die Idee der sogenannten Osterruhe war ein Fehler“, sagt Merkel. Und dann noch einmal klipp und klar: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung. Qua Amt ist das so.“
Es ist einer der ganz seltenen Momente im politischen Betrieb, in denen eine Regierungschefin eine Fehlentscheidung nicht still abräumt, sondern dafür auch öffentlich die Verantwortung übernimmt. Bund und Länder hatten in der Nacht zu Dienstag einen verschärften Oster-Lockdown vom 1. bis 5. April beschlossen, um das öffentliche, private und wirtschaftliche Leben herunterzufahren. Der Gründonnerstag und der Karsonnabend sollten dafür zu „Ruhetagen“ erklärt werden. Daran war aber massive Kritik laut geworden, es gab zudem große Verwirrung um die rechtliche und praktische Umsetzung.
Eine halbe Stunde später tritt Angela Merkel vor das Parlament. Sie wiederholt ihre Erklärung nochmals, liest sie vom Blatt ab. Die anwesenden Unions-Abgeordneten zollen ihr dafür Applaus. Die Kanzlerin bittet die Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung und bedauert, für noch mehr Verwirrung gesorgt zu haben. Die folgende Stunde ist für die Regierungsbefragung vorgesehen.
Dass an diesem 24. März Angela Merkel für die Fragen der Abgeordneten zur Verfügung steht, ist Zufall. Aber der Zeitpunkt könnte kaum günstiger sein. Die Lage im Land ist nicht nur wegen der chaotisch verlaufenen Ministerpräsidentenkonferenz vom Montag enorm angespannt. Da sind die massiv steigenden Infektionszahlen, die Unsicherheit in den Familien, bei den Händlern, Unternehmern und Freiberuflern. Dann die nach wie vor ungeklärte Situation bei den Tests und den Impfungen. Und in der Woche zuvor hatten auch noch Unionsabgeordnete für viel Wut und Unverständnis gesorgt, die mit Masken-Deals in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten.
Die CDU-Politikerin Angela Merkel ist also klar in der Defensive an diesem Mittwoch. Dennoch schaffen es nicht alle Abgeordneten, die Kanzlerin scharf danach zu befragen, was die Regierungschefin zur Verbesserung der Situation im Land beizutragen gedenkt. Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio möchte lieber in Erfahrung bringen, ob Bürger mit Migrationshintergrund Pandemietreiber sind. Es ist eine Verdächtigung, gegen die sich Merkel verwahrt. „Ein Generalverdacht hilft uns überhaupt nicht weiter.“
Andere Oppositionsvertreter werden konkreter. Warum die Kanzlerin Entscheidungen für das ganze Land in „verschlossener Runde“ treffe, will Marko Buschmann wissen. Diese müsse der Bundestag treffen, fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP. Auch Katrin Göring-Eckardt fragt, ob sich das Format der Ministerpräsidentenkonferenz nach Merkels Fehlereingeständnis nicht „erledigt hat“. Die Grünen-Fraktionschefin will wissen, wie es jetzt konkret weitergehen soll für die Bürgerinnen und Bürger.
Kritik an der Umsetzung vor Ort
Der Streit um die Beteiligung des Parlaments schwelt seit Monaten. Überraschend lässt Merkel diesmal eine gewisse Bereitschaft zu Veränderungen erkennen: „Über die Verbesserung der Arbeitsweise werden wir noch einmal miteinander reden“, sagt sie im Bundestag. Die Beratungen mit den Ministerpräsidenten seien aber weiterhin nötig, weil es letztlich Aufgabe der Länder sei, die Corona-Beschlüsse per Verordnung umzusetzen. Zugleich kritisiert sie recht offenherzig die Umsetzung vor Ort. Sie wolle als Regierungschefin den Ländern nichts vorschreiben. „Aber wenn sich das als nicht ausreichend erweist, muss man das im Wege der Gesetzgebung nachbessern.“ Und für Gesetze sind bekanntlich Bundestag und der Bundesrat zuständig.
In einem kleinen Disput mit Britta Haßelmann, der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen, sagt Merkel schließlich gar: „Neben dem Stolz der Länder auf ihre Eigenständigkeit muss auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass wir in einer globalen Situation leben.“ Übersetzt heißt das nicht weniger, als dass die Landesregierungen einer globalen Pandemie offensichtlich nicht gewachsen sind.
Ein weiterer Punkt in dieser bewegten Parlamentsstunde ist die Frage nach dem Vertrauen in die Regierungsarbeit. Linke, FDP und AfD fordern die Kanzlerin auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Merkel müsse sich vergewissern, ob sie überhaupt noch den Rückhalt der eigenen Fraktion und des Koalitionspartners SPD habe. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagt: „Versichern Sie sich bitte der Unterstützung, weil ansonsten die Unterstützung der Bevölkerung nicht gegeben ist.“ Merkel geht darauf nicht ein.
Etwa zeitgleich gibt in München Markus Söder eine Regierungserklärung ab. Er zollt nicht nur der Kanzlerin Respekt für ihre Entscheidung, die sogenannte Osterruhe zurückzuziehen und sich zu entschuldigen. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident macht auch einen Vorschlag, wie derlei künftig zu vermeiden wäre. Gemeinsam mit Merkel und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) will er sich für eine Reform der Ministerpräsidentenkonferenz einsetzen. Das Format soll „entschlackt“ werden, indem früher angefangen wird und Sachstände transparent gemacht werden. Zum einen wären dann die Entscheidungen der Regierungschefs von Bund und Ländern „besser kommunizierbar als nachts um drei“, zum anderen seien Rückfragen bei Experten in den Ministerien einfacher. Die nächste MPK ist für den 12. April anberaumt.