Berlin. Sigmar Gabriel hat schon viele Jobs gehabt. Er war Lehrer, Parlamentarier, Ministerpräsident, Pop-Beauftragter seiner Partei, Umwelt- und Wirtschaftsminister sowie SPD-Chef. Seit Ende Januar nun ist er Bundesminister des Auswärtigen. Das Amt scheint ihm sichtlich Spaß zu machen. Statt sich in der Innenpolitik abzunutzen, jettet er jetzt durch die Welt.
Am Montag sitzt der Sozialdemokrat Gabriel auf dem Podium in einem Saal der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin. Neben ihm sitzt der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, der nicht nur Präsident der EU-Kommission in Brüssel ist, sondern auch ein leidenschaftlicher Spötter wie Gabriel selbst. Die beiden duzen sich und mögen sich. Juncker soll ein Buch Gabriels vorstellen, das dieser Tage auf den Markt kommt. Es heißt „Neuvermessungen“ und handelt von den außenpolitischen Herausforderungen unserer Zeit, von der Rolle Deutschlands in Europa und der Rolle Europas in der Welt.
Juncker sagt, dass ihm das Buch sehr gefalle. Man merke, dass der Autor Gabriel beim Schreiben aufgrund seiner langen politischen Erfahrung „aus dem Vollen schöpfen“ konnte. Er bewege sich mit einer „für seine Verhältnisse bewundernswerten Leichtfüßigkeit“ durch das komplexe Thema, sagt Juncker. Es ist eine Anspielung auf Gabriels Sprunghaftigkeit und seine nach wie vor beträchtliche Leibesfülle, die allerdings in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen ist.
Das Buch ist ein klares Bekenntnis zu Europa und ein Plädoyer für mehr Solidarität zwischen den Staaten. Wenn man Gabriel nicht schon in so vielen Rollen gesehen hätte, könnte man zu dem Schluss kommen, dass hier jemand nach langer Suche endlich sein Lebensthema gefunden habe. Auf jeden Fall kommt es zum richtigen Zeitpunkt: Gabriels Freund Emmanuel Macron ist gerade in Frankreich zum Staatspräsidenten gewählt worden. Die beiden stehen sich nicht nur politisch, sondern auch persönlich nahe. In den USA regiert Donald Trump, die Briten wollen den Brexit – und plötzlich stehen die Kontinentaleuropäer vor der großen Aufgabe, die Europäische Union zu retten und die Werte der westlichen Welt zu verteidigen.
Gabriel macht am Montag deutlich, dass die deutschen Sozialdemokraten im bevorstehenden Bundestagswahlkampf auch für ein anderes Europa werben wollen: für ein solidarisches nämlich, in dem Deutschland nicht mehr vor allem als finanzpolitischer Zuchtmeister auftritt. Es ist ein anderes Europa als das, für das Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) kämpfen.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Deutschen in Europa mehr investieren müssen“, sagt Gabriel. Er meint damit Investitionen in die Infrastruktur, in Bildung und Forschung. Der Unterstützung aus Brüssel kann sich Gabriel dabei gewiss sein: „Mir gefällt sein Plädoyer für mehr Investitionen“, sagt Juncker am Montag ohne jeden Spott.