Auf diesen Dienstag hatten sich die Chefetagen von Google, Amazon, Microsoft und Apple monatelang vorbereitet. Von zumindest einem dieser Häuser war bekannt, dass dort ein umfangreiches Strategiepapier erstellt worden war, wie man den Plan der beiden EU-Kommissare Thierry Breton (Binnenmarkt) und Margrethe Vestager (Wettbewerb) durchkreuzen, entschärfen oder die Glaubwürdigkeit der beiden sogar beschädigen könnte. An diesem Dienstag stellten die beiden Kommissare zwei Vorhaben vor, von denen Netzexperten behaupten, sie würden „das Internet auf den Kopf stellen“.
Die Verantwortung vor allem der großen Konzerne für ihre Angebote und Inhalte soll nicht nur einfach zunehmen. Auch bisherige langjährige Geschäftsmodelle will die Europäische Kommission neu strukturieren. Der Digital Service Act (Gesetz über die digitalen Dienste) und der Digital Markets Act (Gesetz über digitale Märkte) stellen zusammen genommen nicht weniger als den Versuch dar, die ungeheure Marktmacht der globalen Unternehmen zu beschneiden und so etwas wie eine neue Fairness herzustellen.
„Unsere Vorschläge sollen sicherstellen, dass wir als Nutzer Zugang zu einer großen Auswahl an sicheren Produkten und Dienstleistungen im Internet haben. Und dass Unternehmen, die in Europa tätig sind, online genauso frei und fair konkurrieren können, wie sie es offline tun“, sagte Vestager zu den Absichten der EU-Kommission. Breton ergänzte: „Mit harmonisierten Regeln, Vorabverpflichtungen, besserer Aufsicht, schneller Durchsetzung und abschreckenden Sanktionen werden wir sicherstellen, dass jeder, der in Europa digitale Dienste anbietet und nutzt, von Sicherheit, Vertrauen, Innovation und Geschäftsmöglichkeiten profitiert."
Mehr als 30 Wettbewerbsverfahren
Der Mann, der das Vorhaben ausgearbeitet und mit seinem 22-köpfigen Team vorgelegt hat, heißt Prabhat Agarwal, ein promovierter Physiker. „Wir akzeptieren die Machtstellung der großen Plattformen nicht mehr so einfach“, sagte er vor Kurzem der Wochenzeitung „Die Zeit“. Wenn Agarwal und sein Team das Vorhaben beschreiben, heißen die Netzkonzerne „Gatekeeper“, also Torwächter. „Türsteher“ wäre wohl zutreffender. Denn es geht darum, dass die so bezeichneten großen Plattformen de facto allein bestimmen können, was sie zu welchen Bedingungen auf ihren virtuellen Marktplätzen anbieten und wie die dabei gewonnenen Daten von Verkäufern und Käufern weiter genutzt werden dürfen.
Diese Herausforderungen sind nicht neu. Vestager aus Dänemark kann ein Lied davon singen. Sie hat seit 2015 bereits über 30 Wettbewerbsverfahren gegen die Internet-Riesen eingeleitet. Doch nun stehen die neuen Pläne samt einer Liste verbotener Verhaltensweisen, deren Verletzung teuer werden kann: Die Sanktionen könnten die Internet-Häuser bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes kosten. Eine neue europäische Kommissionsbehörde soll den Markt ständig überwachen. Sie dürfte viel zu tun haben, wenn man die „Sündenliste“ der Branche zugrunde legt, die die EU-Kommission zusammengetragen hat: Google baute mit den Daten anderer Anbieter von Preisvergleichen seinen eigenen Shopping-Dienst mit eben solchen Kostenübersichten auf. Dieser wurde so prominent platziert, dass Nutzer kaum noch andere Seiten anklicken.
Innerhalb von Apples iPhone-Imperium sind Anwendungen so miteinander verzahnt, dass der Kunde größte Schwierigkeiten hätte, wenn er wechseln und seine Einstellungen mitnehmen will. Die Kommission verweist auf die Einkäufe im App-Store oder über iTunes und das hauseigene Bezahlsystem Apple-Pay. Hinzu kommen inhaltliche Baustellen bei allen Plattformen wie die Verbreitung von Hass, Hetze, Kinderpornografie, Terroranleitungen oder Angeboten gefälschter Waren. Um Upload-Filter zu umgehen, deren Einführung beim Urheberrecht für viel Ärger sorgte, muss die Haftung der Konzerne erhöht werden. Als Knackpunkt der Vorstöße gilt aber die Forderung, alle Anbieter sollten ihre Algorithmen gegenüber der neuen Kontrollbehörde offenlegen, damit diese feststellen kann, nach welchen Kriterien Uploads wie Videos oder Textbeiträge von Usern sortiert und angeboten werden.