Vielen Menschen ist ihr Leben zu voll. Sie finden es zu kurz, wollen es nicht nur mit Arbeit füllen. Weniger arbeiten, mehr leben – ein Traum aus Teilzeit, langen Wochenenden und Zeit für sich. Work-Life-Balance: Die richtige Mischung aus Arbeit und Freizeit, die innere Mitte finden. Das klingt gut und richtig. Der Beruf sollte nicht das gesamte Leben beherrschen.
Und die Frage danach, wie viel Arbeit gesund ist? In Zeiten von Burn-out längst legitim. Wer viel arbeitet, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht genug für sich selbst zu tun, mit seinem Job verheiratet zu sein, das soziale Umfeld zu vernachlässigen. Die Sehnsucht nach mehr Seelenfrieden ist ein Luxusproblem, wie es sich nur die erste Welt leisten kann.
Sie nennt das neue Phänomen „Downshifting“ – herunterfahren. Weniger Stunden an weniger Tagen arbeiten. Nicht, weil man sich um Kinder oder kranke Eltern kümmern müsste, nein, nur um sich selbst. Mehr auf sich achten. Auch mal nur an sich denken. Ein Burn-out ist der endgültige Beweis, dass es zu viel war. So springen die Menschen von einem Extrem zum anderen: vom Workaholic zum Hedonisten. Die Probleme lösen sie damit nicht, sie schieben sie bloß auf.
Work-Life-Balance, Downshifting – Modebegriffe, die dem Lebensgefühl einer neuen Generation einen Namen geben. Sie wollen arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten. Die neuen Leitsätze heißen „Yolo“ („You only live once“) und „Fomo“ („Fear of missing out“). Du lebst nur einmal – groß ist deshalb die Angst, etwas zu verpassen.
Das Leben auspressen – bis auf den letzten, süßen Tropfen. Hier und jetzt, nicht erst im Rentenalter. Wer weiß, ob man dann noch so kann, wie man heute gern will. Es wäre doch doof, wenn morgen alles vorbei ist, und keine Zeit da war für das, was wirklich zählt. Angst sollten die Downshifter lieber davor haben, nicht heute, sondern morgen etwas zu missen. Aber Vorsorge klingt eben nicht so sexy wie „Yolo“.
Ziel der Yolo-Fomo-Generation ist es, das Beste aus sich herauszuholen, denn nicht mehr nur als Mitarbeiter performt der Mensch auf einem hohen Level. Auch sonst soll er Leistung bringen. Er muss sich besser ernähren, mehr Sport treiben, ein besserer Freund sein. Der Anspruch an das Leben und das persönliche Glück ist immens hoch. Wenn der Job sie nicht glücklich macht, arbeiten die neuerlich Lebensbewussten einfach weniger.
Wie eine kuschelige Decke
Doch sind 40 Stunden Arbeit wirklich zu viel für einen jungen Menschen ohne Kinder? Ein lautes Prusten bricht aus der Nachkriegsgeneration heraus. Für viele junge Menschen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, dürften ein zweiter Job und Schichten am Wochenende unvorstellbar sein. Heute soll die Arbeit nicht nur erfüllen, sie soll bitte auch gut bezahlt und nicht zu anstrengend sein.
Aber es ist zu leicht zu sagen, es gehe den jungen Angestellten heute schlicht zu gut in unserer Konsumgesellschaft. Der Druck, als Mensch perfekt zu funktionieren, erhöht sich. Wie eine kuschelige Decke legt sich da der Gedanke an ein entspannteres Leben um die Schultern: warm und geborgen. Ein Gefühl wie Montagmorgens im Bett, wenn man sich noch mal umdrehen kann.
Aber es ist nicht so leicht, wie es scheint. Die wenigsten können es sich leisten, ihre Arbeitszeit herunterzufahren. Hochrechnungen aus dem Jahr 2015 besagen, dass für bis zu 75 Prozent der damals 35- bis 50-jährigen Frauen die Rente später unter 400 Euro liegen wird. Fast die Hälfte der Rentner bekommt schon jetzt weniger als 800 Euro im Monat. Gleichzeitig wollen immer mehr Menschen in Deutschland weniger arbeiten und dafür sogar auf Gehalt verzichten.
Wie lehrt es die Fabel mit der Ameise und der Heuschrecke? Die Heuschrecke, den ganzen Sommer über faul und vergnügt, muss im Winter hungern. Ganz im Gegensatz zur Ameise, die fleißig war und Getreide gesammelt hat. Sie hat vorgesorgt und muss nicht leiden. Noch macht sich die Generation der Downshifter keine Sorgen.
Noch kann sie es sich leisten, weniger zu arbeiten. Doch so kurz ist das Leben gar nicht, die Menschen werden schließlich immer älter. Die Frage danach, wo und wie sie leben werden, tut weh. Die Mieten in den Städten kann sich schon heute kaum jemand leisten. Ein Pflegeplatz im Alter gehört längst zum Luxus. Es sind unangenehme Fragen, die keiner hören möchte. Morgen, morgen nur nicht heute. Das Negative ausblenden, den süßen Saft genießen. Aber wovon leben die Downshifter, wenn der Sommer vorbei ist?